tag:blogger.com,1999:blog-25585883484441592882024-03-05T21:16:39.244-08:00Der BirkenbärEva Tannerhttp://www.blogger.com/profile/12597055182294516245noreply@blogger.comBlogger32125tag:blogger.com,1999:blog-2558588348444159288.post-21207880493043020192014-12-13T15:09:00.000-08:002014-12-13T15:09:25.647-08:00IN THERESIENSTADT<br />
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(Nach der Einweisung, der so genannten ‚Schleusung’, waren Elsa und Paul getrennt worden. Paul ging es nicht gut, er litt ohne Elsa.) <br />
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Wieder nur Matratzen auf dem Fußboden, neben vierzig anderen Männern. Nur eine Wolldecke hatte man ihm gelassen, und in den Nächten war es schon sehr kalt. In dieser ersten Woche in Theresienstadt versuchte er, sich zu orientieren, Überlebensstrategien zu entwickeln. Wann und wo wurde Essen ausgeteilt, wo gab es Toiletten und Waschräume? <br />
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Aber er verlor jeden Tag ein Stückchen seiner Kraft. Fieber und Kopfschmerzen stellten sich ein und ein unstillbarer Durst. Wo war Elsa, wie ging es ihr? Nachts, wenn der Gestank und die Geräusche der Männer um ihn herum am schlimmsten waren, lag er mit offenen Augen da und wurde in die Vorwürfe, die er sich selbst machte, wie in einen Sog gezogen. Trockener Mund, aufgeplatzte Lippen. Schmerzen im Unterleib. Was hatte er falsch gemacht? Bestrafte ihn Gott hier?<br />
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Es war alles umsonst gewesen. Seine Arbeit, die Firmen, die er aufgebaut hatte, sein guter Name als Innenausstatter und Möbeldesigner – alles war ihm genommen worden. Wären sie doch 1935 ausgewandert, als Martha mit Max und Lilli Deutschland verließen. <br />
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In der Woche danach setzte der Durchfall ein und kleine, rote Flecken übersäten seine Haut. Er wurde in das Siechenheim in der Jäger-Kaserne gebracht. Und blieb dort in seinem eigenen Schmutz liegen. Um ihn herum stöhnten Menschen, riefen nach Gott und nach ihrer Mutter. Ein Rabbi kniete bei dem Sterbenden auf der Matratze neben ihm. Das Kaddisch wurde leise gemurmelt : Jitgadal w’jitkadas, Schm’meh rabah, b’Alma di hu Atid I’it’chadata. Würde der Rabbi auch zu ihm kommen? Zu ihm, der schon lange seinen mosaischen Glauben abgelegt hatte? Der seit seiner Kindheit nie mehr in die Synagoge ge-gangen war? Ein heftiger, reißender Schmerz durchzuckte seinen Bauch, eine tiefe, abgrundtiefe Übelkeit schüttelte ihn und trug ihn fort,aus seinem Körper hinaus. Nichts bleibt, außer meinen Gefühlen, meinen Erinnerungen und den Bildern in mir. Den letzten Weg geht man allein. <br />
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Der Tod lässt ihn noch einmal sein Leben sehen. Er sieht sich mit der Familie in Sacrow am Wasser sitzen, sieht Elsa, die auf dem Anhalter Bahnhof auf ihn zuläuft, überglücklich und erwartungsvoll, und immer wieder in einer Collage von Bildern und Gefühlen die Häuser,an denen er gearbeitet hat, die Intarsienverkleidungen des Stadttheaters in Bremerhaven, das Café des Westens auf dem Kurfürstendamm und die Wandelhalle des Haus Cumberland. Er fühlt ihre polierten Mahagoni Oberflächen unter seinen Händen. Elsas Hand berührt ihn, er streicht über Lillis wilde Locken. Ja, er wird sie alle wieder sehen. Er würde dieses Leben sogar noch einmal leben – es war ein gutes Leben gewesen. Voller Liebe, Schönheit und Arbeit, auch ohne Gott. <br />
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Am Morgen kam eine Krankenschwester und wickelte ihn in sein Laken, damit er in die Leichenhalle getragen werden konnte. Meldete der Verwaltung die Anzahl der in der Nacht Verstorbenen und deren Namen, auch den von <b>Paul Jakob Redelsheimer. <br />
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</b> "Über das Sterben",In Theresienstadt<br />
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Eva Tannerhttp://www.blogger.com/profile/12597055182294516245noreply@blogger.com0tag:blogger.com,1999:blog-2558588348444159288.post-11947847289591869952014-12-12T03:20:00.001-08:002015-02-10T16:02:22.379-08:00STERBEN IST NICHT FÜR IMMERDieser Text erscheint im E-Book "1000 Tode", 2. Band, vom Frohmann Verlag (auch in Leipzig auf der Buchmesse 2015)<br />
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Lange war ich die Kleinste und Jüngste gewesen, die, deren Leben noch vor ihr lag.<br />
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Jetzt war ich die Älteste, umgeben von Jüngeren, deren Leben noch vor ihnen lag.<br />
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Vor mir keine ältere Generation mehr. Ich war an der Reihe, mein Abschied war näher gerückt.<br />
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Vielleicht würde ich meine letzte Sekunde auf weichem Erdreich liegen, den Duft des frischen Bodens einatmen, nach einem warmen Sommerregen.<br />
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Oder auch in meinen Träumen verbleiben – da wo ich sonst im Traum lebe: In einer Stadt, die am Meer liegt, über dessen Buchten ich schon oft geflogen bin. Ich kenne die Straßen, die Hügel, die Häuser. Von dort komme ich und dorthin würde ich zurückkehren. <br />
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Und alle, die ich liebe, würden mich dort erwarten. Jeden Menschen sähe ich so, wie ich ihn in Erinnerung hatte. Und jeder andere Mensch sähe auch mich so, wie er mich in Erinnerung hatte. Das wäre eines der Geheimnisse dieser anderen Welt. <br />
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Und dann käme ich erneut auf die Erde, mit dem Wissen und Können in mir, das ich im Hier und Heute erworben habe. Mit all den Antworten, die ich gefunden habe und mit der Aufgabe, weitere zu lösen.<br />
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So würde ich mich um die Welt bewegen und es wäre mir eine Freude.<br />
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<u>"Über das Sterben",</u>Sterben ist nicht für immer<br />
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Eva Tannerhttp://www.blogger.com/profile/12597055182294516245noreply@blogger.com3tag:blogger.com,1999:blog-2558588348444159288.post-49725956067928381692012-06-02T12:48:00.000-07:002012-06-02T12:48:16.083-07:00<b>DIE UNWAHRSCHEINLICHE PILGERREISE DES HAROLD FRY, VON RACHEL JOYCE, KRÜGER VERLAG.</b><br />
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Eigentlich will Harold seiner alten Kollegin Queenie nur eine Karte schicken. Queenie liegt im Sterben und hat sich mit einem kurzen Brief von ihm verabschiedet. Aber er läuft am Briefkasten vorbei, aus der Stadt heraus und findet seine Ruhe erst wieder, als er 87 Tage später in Schottland Queenie kurz vor ihrem Tod wieder sieht. Allein zu Fuß aus dem Süden Englands bis nach Schottland trifft er die unterschiedlichsten Menschen, aber vor allem trifft er sich selbst wieder. Die Strapazen der Pilgerreise geben ihm die Chance, sein Leben zu überdenken, seinen Lebensabend neu zu gestalten.<br />
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Es ist ein Buch über Erkenntnisse im letzten Lebensdrittel, über die Frage, wie will ich meine letzten Jahre verbringen, was kann ich noch ändern? Wo sind meine Lebenslügen? Das Buch macht Mut, berührt tief in der Seele und ist so viel mehr als nur ein Roman über eine Pilgerreise. Harold ist nicht religiös und doch tragen ihn „Glaube, Liebe, Hoffnung“ 1000 km durch England. Die Landschaften, die Pflanzen, die Harold erlebt lassen den Leser den Frühling in England sehen, fühlen und riechen. Wo sind meine Wanderschuhe?<br />Eva Tannerhttp://www.blogger.com/profile/12597055182294516245noreply@blogger.com0tag:blogger.com,1999:blog-2558588348444159288.post-67579979886007004602011-11-14T06:31:00.001-08:002012-03-13T05:13:16.624-07:00DAS BLAUE ZIMMER<b>I</b><br />
Ihre Schritte waren auf dem Teppich im Treppenhaus nicht zu hören. Das Erdgeschoss lag im Dunkeln, nur im Wohnzimmer glimmte noch ein Holzscheit im Kamin. Sie stand einen Moment ganz still und lauschte zum Esszimmer hinüber, wo er schlief. Falls er denn schlief. Sie selbst hatte in dieser letzten Nacht kein Auge schließen können. Ab morgen dann getrennte Wege, sie zurück nach Deutschland, und er würde hier in London noch eine Weile jobben, um das Geld für seine Heimreise nach Neuseeland zusammenzubekommen. <br />
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In der Küche lag ein Hauch von Putzmitteln in der Luft, die Messer schimmerten im Mondlicht an ihrer Magnetschiene an der Wand. Als sie das hinter der Küche liegende Esszimmer betrat, hielt sie den Atem an. Der weiße Vorhang wehte leicht in der offenen Terrassentür, und vor ihr - auf dem Schlafsofa - zeichneten sich die Konturen seines Körpers unter der Bettdecke ab. Er hatte ihr den Rücken zugewandt und atmete ruhig. Sie setzte sich auf einen der Stühle am Esstisch und zog das T-Shirt über ihre hochgezogenen Knie. Sie war hier herunter gekommen, um ihm noch einmal beim Schlafen zuzusehen, so wie sie es in den letzen Monaten oft getan hatte. Aber sie hatte auch gehofft, dass er noch wach sein würde. <br />
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Sie trat an die Schlafcouch. Wie oft hatte sie in seinen dichten, rotblonden Haarschopf gegriffen, ihn zu sich heruntergezogen. Im Mondschein sah sie die kleinen Härchen auf seinem Nacken. Sacht zog sie die Decke von seinem Körper. Wenn er jetzt aufwachte, würde sie sich an ihn schmiegen, und er würde ihr wieder seine Liebe zeigen. Aber hatte er sie denn je geliebt? Sie strich mit ihrem Zeigefinger vom Nacken hinunter bis zu seinem Hintern. Er hatte ein Bein angewinkelt, und seine beiden Hinterbacken bildeten zwei vollkommene Hügel, darunter konnte sie im Schatten seine Hoden sehen. Er stöhnte und wurde wach. Der Anblick seiner Rundungen, der Licht- und Schatteneinblicke im Mondlicht, ließ sie gierig ihre Hand vorschnellen. Und noch bevor er sich zu ihr umdrehen konnte, hatte sie ihre Hand zwischen den Pobacken durchgeschoben und seine Hoden fest umklammert. Er versuchte sich umzudrehen: „Lass das, ich will schlafen.“ Sie zog ihre Hand zurück, aber nur für einen Augenblick, und als er sich auf den Rücken drehte, senkte sie blitzschnell ihren Mund über seinen Penis, sog daran und schmeckte noch einmal all die Nächte ihrer Beziehung. Er wehrte sich nur schwach, versuchte sie wegzuschieben, aber gab sich dann seiner Lust hin. Sie war nun nicht mehr sanft - presste sein Glied hart und fest zwischen ihre Lippen, umfasste mit ihrer Hand seine Hoden und knetete sie. Sekunden später bäumte er sich mit einem Schrei auf, ergoss sich in ihren Mund, und sie nahm alles in sich auf, den Geschmack und den Geruch. „Meine Wegzehrung, Schatz“, murmelte sie und wischte sich mit der Hand über ihren Mund. Dann stand sie auf, ging zu ihrer Handtasche, die am Stuhl hing und wühlte darin herum.<br />
„Du kotzt mich an,“ sagte er.<br />
„Du mich nicht,“ erwiderte sie und ging zurück zur Schlafcouch, legte eine Zehnpfundnote neben die Lampe und strich sie sorgfältig glatt. „Danke!“ Dann lief sie wieder nach oben in ihr Schlafzimmer, wo sie die Tür fest verriegelte.<br />
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Beim Packen ihrer Reisetaschen fiel ihr der Prospekt des Hotels in Porthcurno in Cornwall in die Hände, wo vor einigen Monaten alles begonnen hatte.<br />
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<b>II</b><br />
Es war ein heißer Sommer gewesen, und sie war mit ihrem kleinen Flitzer, einem TR 7, durch den Südwesten Englands gefahren. In Porthcurno führte die Straße hinauf zu den Klippen, atemberaubend steil, mit einem Spiegel in der Kurve, damit man entgegenkommende Fahrzeuge sehen und dann warten konnte. Der Weg war frei, und sie raste hoch – nur nicht am Hang stehen bleiben! So landete sie mit Schwung direkt auf dem Parkplatz eines kleinen Hotels. Vor ihr lag die Bucht von Porthcurno – zerklüftete Felsen, bewachsen mit blühendem Heidekraut und hohen Farnen, der Strand und ein strahlend blauer Atlantik tief unter ihr. Sie blieb und lernte das Minack Open Air Theatre kennen, sah Shakespeares Sommernachtstraum auf der in die Felsen gehauenen Bühne, die tosenden Wellen direkt unterhalb der Bühne, suchte nach Steinkreisen aus der Vorzeit und schaute bei jeder Mahlzeit von der Glasveranda des kleinen Hotels auf das Meer. Clotted Cream mit Erdbeermarmelade auf Scones, frischer Hummer und Gemüse - das war die feine Küche, aber es gab auch kalte Pork Pies am Zeitungskiosk, wenn sie nass und hungrig vom Baden kam. <br />
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Sie wollte die „Merry Maidens“ fotografieren, einen jahrtausende alten Steinkreis, nicht weit von Porthcurno gelegen, direkt auf dem Weg nach Penzance. Das Auto flitzte durch tief liegende Straßen hinab in das Penberth Valley, ein von Sonnenstrahlen durchdrungenes Blätterdach und wieder hinauf auf die Klippen mit ihren blühenden Feldern. Kurz vor dem Steinkreis sah sie ihn. Er war von seinem Fahrrad gestiegen und studierte eine Straßenkarte. Die Westsonne ließ ihn mit der Landschaft verschmelzen, kupferrote Haare, gebräunte Haut, eine kurze weiße Hose. Ein keltischer Prinz, dachte sie.<br />
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Bei den „Merry Maidens“ angekommen, stellte sie fest, dass sie ihren Fotoapparat im Hotel vergessen hatte. Sie musste zurückfahren und ihn dabei überholen. Schicksal oder peinlich? Sie sah ihn noch einmal auf dem Weg zu den „Merry Maidens“ und danach wieder, als sie zurückfuhr zum Hotel. Schon beim zweiten Vorbeifahren hatten sie sich zugewinkt, und beim letzten Mal hielt sie an. Dann ging alles ziemlich schnell: ein erstes Gespräch in einem Pub an der Straße und eine Verabredung für einen Ausflug Richtung Land’s End. Er ein neuseeländischer Mathematiklehrer, der sich ein Jahr frei genommen hatte, um Europa kennenzulernen und sie eine deutsche Englischlehrerin. Beide frei und ungebunden. Sein Fahrrad ließ er in einer Jugendherberge in Penzance stehen, und sie checkte in Porthcurno aus. Sie fuhren an der Küste entlang und stoppten auf der Lizard Halbinsel an einem schneeweißen Hotel, das auf den Klippen stand. Der Mullion Cove mit seinem Hafen und die Bucht lagen tief unter ihnen. Es roch nach Fisch und Teer, und ein Boot lud Hummerfangkörbe auf die Kaimauer. Das Hotel hatte ein freies Zimmer mit Meeresblick. Er überließ ihr die Formalitäten an der Rezeption und kümmerte sich lieber um das Gepäck. <br />
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Alles war blau! Die Wände, die Vorhänge, die Laken. Sie zog die Vorhänge zu, ohne dass es bei dem strahlenden Sonnenschein wesentlich dunkler im Zimmer wurde, nur blauer. Sie sanken in die Betten, wühlten sich ineinander, eine glühende, kurze Begegnung, dann schliefen sie ein.<br />
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Als sie wach wurden, setzte sie sich auf den Sessel am Fuße des Bettes, zog die Vorhänge auf und blickte auf einen nächtlichen Atlantik. Er umfasste sie von hinten. Liebkoste ihren Nacken mit der Hand, beugte sich zu ihr, küsste sie und sank vor ihr auf die Knie. Der Kupferton seines Haarschopfs verschmolz mit dem Rot ihrer Schamhaare, und sie streckte sich ihm entgegen. <br />
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Nach Mullion Cove blieb nicht mehr viel Zeit. Sie hatten nur noch einen gemeinsamen Vormittag, den sie am Strand verbrachten - sie konnten die Hände nicht voneinander lassen, gingen ins Wasser, sie schlang ihre Beine um seine Hüften, und er trug sie durch die Wellen hinter einen Felsenvorsprung, wo sie sich liebten. <br />
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Mittags fuhr sie ihn zu seiner Jugendherberge, dann mussten sie sich verabschieden, weil sie sonst ihre Fähre in Weymouth nicht mehr erreicht hätte. Sie hatte einen neuen Song von Gloria Gaynor auf einer Kassette, und der Text, die Melodie und der Rhythmus von „I will survive“ begleiteten sie auf ihrer Rückfahrt durch Südengland, immer an der Küste entlang. Kleine, alte Dörfer, Kornfelder und der blaue Atlantik neben der Straße. Zweiunddreißig Stunden mit ihm hatten ihr Flügel verliehen. Die Fähre brachte sie nach Cherbourg in Frankreich, wo sie weiter wie im Rausch an sommerheißen Feldern vorbeifuhr. Kein Hunger, keine Müdigkeit, nur Zigaretten, Cola und Musik. Fuhr aus Versehen bis nach Paris, da alle Straßen südlich der Hauptstadt sie wie in einem Strudel in die Stadt zogen. Da war es schon tiefe Nacht, dann immer weiter bis nach Deutschland, wo sie sich in der Nähe von Frankfurt in einem Autobahnmotel nach sechzehn Stunden Fahrt schlafen legte.<br />
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Zuhause in Deutschland fand sie nicht wieder in ihren Alltag. Nachts hörte sie sein kehliges Lachen, seine Stimme, die neuseeländische Aussprache, bei der ein E zu einem Doppel-E gedehnt wurde. Er würde in wenigen Tagen in London ankommen, das wusste sie, denn sie hatten sich oft geschrieben. Da sie an einer privaten Sprachenschule arbeitete, konnte sie sich unbezahlten Urlaub nehmen, und sie versprach ihrem Chef, zu den Weihnachtsferienkursen wieder zurück zu sein.<br />
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<b>III</b> <br />
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Rush Hour in der Old Bond Street in Mayfair, rote Doppeldeckerbusse, Autos im Schritttempo, Taxis, die sich überall hindurchschlängelten. Es war ein Freitagnachmittag Anfang September. Sie hatte ihr Auto in einer Nebenstraße geparkt und sich zu Fuß aufgemacht, um ihn zu überraschen. Das Büro, in dem er einen Vertretungsjob machte, befand sich in einem der zahllosen Geschäftshäuser in der Old Bond Street. <br />
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Und dann sah sie ihn. Er trat mit einer jungen Frau aus dem Haus. Blieb lachend vor der Tür stehen, bemerkte sie auf der anderen Straßenseite nicht. Die Autos verdeckten sie immer wieder und gaben ihr die Chance, ihn weiter zu beobachten. Er hatte sich einen Schnurrbart wachsen lassen, trug wie immer Jeans, einen Pullover und seine Leinentasche über der Schulter. Die junge Frau verabschiedete sich, und nun ging er allein in Richtung Piccadilly, streifte ihre Straßenseite mit einem kurzen Blick. Er erstarrte, sie strahlte, winkte ihm zu und überquerte die Straße.<br />
„Ich fasse es nicht! Du bist es wirklich“, rief er. <br />
Sie stand vor ihm, schlang ihre Arme um seinen Hals und sagte: „Ich hab’s nicht mehr ausgehalten.“ <br />
Er schob sie auf Armeslänge von sich. „Aber ich wollte doch zu dir kommen. Ich bin gerade dabei, mir das Geld für die Fahrt nach Deutschland zu verdienen. Was machst du denn hier?“ <br />
Was sie hier machte? Freute er sich denn gar nicht, sie zu sehen? Sie lachte etwas verlegen, schmiegte sich wieder an ihn, spürte, dass er jetzt keine große Liebeserklärung hören wollte, und entschied sich spontan für die Behauptung, sie müsse noch einmal in den Südwesten fahren, um etwas für ihren landeskundlichen Bericht für die Schule zu recherchieren. Und einen Reitkurs hätte sie auch gebucht. Beide schwiegen sich einen Augenblick an, dann lachte er erleichtert auf und wollte wissen, was ihr erstes Ziel sei. Stratford upon Avon. Die Shakespearestadt? „Dann nimm mich doch mit, da bin ich auch noch nicht gewesen.“<br />
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Eine wunderbare Idee, sie könnten gleich losfahren, er müsste nur noch kurz zu Hause ein paar Sachen zusammenpacken und dann up, up and away! Es war, als wäre noch immer Sommer, sie drehten im Auto die Musik laut, er studierte die Straßenkarte, sie fuhr. Er schob eine Kassette mit Songs von Joni Mitchell in den Recorder, sie kannte die Sängerin nicht. Sie ist wie eine Göttin für dich? Ja, hör’ doch zu: „Go to him, stay with him if you can, oh but be prepared to bleed...you are in my blood like holy wine...you taste so bitter, bitter and so sweet!“<br />
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Es war später Nachmittag, als sie in Stratford upon Avon ankamen. Sie schlenderten am Avon entlang, küssten sich, und er wuschelte sein Gesicht in ihre langen Haare und sagte „Lass uns ganz schnell ein Hotel suchen.“ <br />
Sie steuerten auf das White Swan Hotel zu, er wollte aber nicht fragen, ob sie noch ein Zimmer hätten. „Geh du rein, du hörst dich britischer an als ich. Ich bin von down under, das ist nicht so beliebt hier.“ <br />
„Du scherzt,“ sagte sie ungläubig, ging dann aber das Zimmer reservieren. War er knapp mit Geld? Oder ging er Formalitäten gerne aus dem Weg?<br />
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Beim Dinner begannen sie einander auszufragen: Wie stellst du dir deine Zukunft vor? Was macht für dich den idealen Partner aus? In welcher Stadt würdest du am liebsten leben? Was ist dir wichtig im Leben? „Fußball und Popsongs?“, fragte sie und kicherte. „Ist nicht dein Ernst.“ Doch, doch, aber auch kochen, Freunde im Pub treffen, lesen, malen, fernsehen. Er holte tief Luft und griff nach ihrer Hand. „Wollen wir nicht in London für eine Weile zusammenziehen?“ Ja, unbedingt, sofort, gleich morgen! wollte sie rufen, sagte aber nur vorsichtig „Ja, das wäre eine Möglichkeit, warum nicht?“<br />
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Sie gingen auf ihr Zimmer, und sie wickelte ein kleines Geschenk aus, das ihr Freunde für die Reise mitgegeben hatten: einen Dopekuchen und ein paar Joints. Blauer, harziger Dunst waberte durch das Zimmer, während sie sich gegenseitig auszogen. „You are in my blood like holy wine, you taste so bitter and so sweet, oh I could drink a case of you, darling, and I would still be on my feet“. Sie liebten sich, konnten nicht voneinander lassen, glitten ineinander, hielten sich aneinander fest. Schließlich wurden sie langsamer und stiller.<br />
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Sie flog ins Universum, in einen nachtblauen Himmel, hin zu leuchtenden Sternen und sah diese auch, als sie die Augen fest schloss. Konnte sich nicht mehr bewegen, nicht mehr aufstehen, auch nicht bis zur Toilette gehen. Er erzählte, dass er auf einem Zaun säße, Angst hätte, herunterzufallen, nicht loslassen könnte und auch bewegungsunfähig sei. Sie lagen eng umschlungen und still, bis der Morgen kam. Irgendwann schafften sie es, aufzustehen, zu duschen und sich anzuziehen.<br />
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Beim Frühstück schwiegen beide. Sein Gesichtsausdruck hatte sich verändert: finster und in sich gekehrt, kein Lächeln mehr für sie. Sie war erschöpft, aber ihm gegenüber offen, versuchte, seine Hand zu berühren. Er zog sie zurück und sagte: „Ich glaube, ich brauche jetzt etwas Zeit für mich allein. Ich fahre nach dem Frühstück mit dem Zug zurück nach London. Und was machst du?“ Ihr Mund blieb offen, sie rührte in ihrer Tasse, um Zeit zu gewinnen. Was sie machte? Wollten sie nicht zusammenziehen? Eine gemeinsame Zukunft aufbauen? Nach einer Pause sagte sie: „Ich fahre jetzt nach Devon für meine Recherchen, muss noch Fotos machen. Und dann habe ich ja auch diesen Reitkurs. Ich könnte dich am Bahnhof absetzen.“<br />
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<b> IV</b><br />
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Sie war wieder allein. Vor ihr lag das weite Land des Dartmoor Nationalparks. Ginster, Heidekraut und hüfthohe Farne bedeckten die Hügel, auf denen Granitformationen schroff in den Himmel ragten. Sie war zu Bowerman’s Nose hinaufgestiegen und saß im Schatten dieser Granitplatten, die einem Kopf mit einer Nase ähnlich sahen. Es war nur wenige Wochen her, dass sie hier gesessen hatte, bevor er in ihr Leben getreten war. Sie hatte eine Skizze vom Bowerman’s Nose angefertigt und sich frei und glücklich gefühlt. Wie in einer Zeitschleife war sie wieder an den Anfang ihrer Reise zurückgekehrt. Sie stand auf und breitete ihre Arme aus, schloss die Augen und wünschte, fliegen zu können – über die vor ihr liegenden Hügel und Täler hinaus, bis zum Horizont. Ein kühler Windstoß zerrte an ihren Haaren. In ihrer Zeitschleife gab es diesen Mann, der sie zutiefst berührte und den sie begehrte. Auf ihn hatte sie ein Leben lang gewartet. Aber der, den sie heute zum Bahnhof in Stratford upon Avon gefahren hatte, war ein anderer Mensch. Liebte sie diesen launischen Mann, oder nur den Geliebten aus dem blauen Zimmer? Wie sollte sie mit diesen Gefühlsschwankungen umgehen? Dann schoss ihr eine Erinnerung an die vergangene Nacht ins Gedächtnis. Sie hatte Angst vor dem Flug ins Universum gehabt, Angst sie könnte für immer und ewig verschwinden! Halte mich fest! Sag mir, dass du mich liebst! hatte sie gerufen und er hatte geantwortet: Ich kann nicht, ich kann nicht! <br />
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Sie verließ Bowerman’s Nose und fuhr nach North Bovey, wo sie in einem strohgedeckten Landhotel aus dem 15. Jahrhundert abstieg und früh zu Bett ging. Mitten in der Nacht wachte sie auf, weil sie Unterleibskrämpfe hatte. Sie schleppte sich ins Bad und sah, dass sie ihre Periode bekommen hatte - mit zweiwöchiger Verspätung. Das warme Wasser der Dusche beruhigte ihren Körper, spülte alles fort. Nun war nichts mehr von ihm in ihrem Körper, sie hatte ihn verloren. Einem Kind sagen zu können, wie sehr sie dessen Vater geliebt hatte, müsste ein großes Glück sein. Sie selbst hatte die Missachtung ihrer Mutter für ihren Vater immer gespürt. Jetzt war sie Mitte dreißig, wie oft würde die Liebe ihr noch begegnen? <br />
<br />
Der neue Tag brachte bestes Oktoberwetter. Warum nicht tatsächlich Reitstunden nehmen, ins Hochmoor reiten, wieder ihre innere Ruhe erlangen? Sie hatte die Adresse eines Reiterhofes nahe Moretonhampstead und machte sich auf den Weg. Im Tal lag noch Nebel, aber darüber spannte sich schon ein klarer, blauer Himmel. Das Pferd hieß Spotty, und sie übte Schritt und Trab, bis es in ihren Oberschenkeln kräftig zog und sie den kommenden Muskelkater erahnte. Auf der Rückfahrt hielt sie immer wieder für einen kleinen Imbiss an den wilden Brombeerhecken an. Gegen Abend fuhr sie noch einmal ins Moor, parkte und schaltete die Scheinwerfer aus - die Türen des Autos weit offen. Ein herber Duft von Gras umgab sie, die wilden Ponys am Straßenrand kamen in der Dunkelheit ganz nah heran, schnaubten, schauten sie an und rupften Gras. Die schroffen Tors, die zerklüfteten Steinhügel der Dartmoor Hochebene, bildeten einen tiefschwarzen Scherenschnittrand vor dem dunkelblauen Nachthimmel. Nicht nur er brauchte Zeit für sich allein, auch sie benötigte diese Bedenkzeit. Es war gut zu wissen, dass er in London war. Es war beruhigend und gab ihr die Freiheit, noch ein wenig zu sich selbst zu finden.<br />
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Nach drei Tagen lag sein Brief auf ihrem Frühstückstisch: <br />
<i>My dear, sweet lover, I am so full of love and affection for you. I can’t wait to live with you! </i> Aber er schrieb auch, dass er wüsste, wie sehr sie sich in der Nacht im Hotel in Stratford upon Avon gefürchtet hatte, als der Dopekuchen seine Wirkung tat. <i>But you seemed so far off from me, I didn’t think I could reach you. </i><br />
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Genug Zeit mit Pferden und Brombeeren verbracht, sie wollte zu ihm, mit ihm reden, doch sobald sie seine Stimme am Telefon hörte, wusste sie, in welcher Verfassung er war. <br />
„Was, du willst nach London zurückkommen? Ich kann nicht sagen, dass mich das so richtig begeistert. Komm lieber erst nächste Woche.“ Er hatte seinen Brief erst gestern aufgegeben, und heute nun das? Sie ließ sich doch nicht vorschreiben, wo sie ihre Zeit verbringen sollte. Ihre Taschen packen und nach London fahren, schaffte sie in dreieinhalb Stunden, ab Exeter über den Motorway. Sie würde bei ihren Freunden Jason und Vivien in Highgate wohnen. Er musste nicht glauben, dass sie auf Gedeih und Verderb auf ihn angewiesen war. <br />
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<b>V</b><br />
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Als sie in Highgate ankam und ihr Auto abschloss, kam Jason ihr schon entgegen, um ihre Reisetasche zu tragen. Es war wie eine Heimkehr – die kleine Doppelhaushälfte mit dem traditionellen runden Erkerfenster, die schwarzen Holzbalken im Obergeschoß und die Wärme ihrer Freunde. Sie lagen sich in den Armen, Vivien setzte Teewasser auf, im Kamin brannte ein Feuer. <br />
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Am nächsten Tag fuhr sie zu ihm nach Camden Town, steckte einen Zettel mit ihrer Telefonnummer in den Briefkasten und fuhr, ohne zu klingeln, wieder weg. Kaum war sie in Highgate über die Schwelle getreten, klingelte das Telefon. <br />
„Was sind das für Leute, bei denen du wohnst? Warum bist du nicht zu mir gekommen, als du den Zettel durchstecktest? Können wir uns heute Abend treffen?“ <br />
„Nein, das geht leider nicht. Ich hab versprochen, heute das Abendessen zu kochen. Vielleicht morgen Abend?“ <br />
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In den kommenden zwei Wochen trafen sie sich regelmäßig, saßen im Pub, oder auch bei Jason und Vivien. Eines Abends räumte sie die im Gästezimmer herumliegenden Kleidungsstücke auf. Als sie seine Jacke auf einen Bügel hängen wollte, fuhr er sie scharf an: „Schnüffelst du in meinen Sachen herum?“ Sie schaute ihn verblüfft an – seine Augen waren eng zusammengepresst. Gleich schlägt er mich! schoss es ihr durch den Kopf. „Immer langsam, ja! Ich will hier nur etwas Ordnung machen.“ Sie räumte betont gelassen weiter auf. <br />
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Dann gingen sie in die Royal Festival Hall zu einem Barenboim-Konzert und zu Randy Newman ins Dominion Theatre. Er hatte ihr vor dem Randy-Konzert alle Songs vorgespielt und mit ihr die Texte besprochen, so dass sie beim Konzert zu einem glühenden Fan von Randy Newman wurde. Es war der absolute Höhepunkt in diesem Winter, und sie meinte, dass Randy Newman der Heinrich Heine der Rockmusik sei. „Und wer ist Heinrich Heine?“, fragte er sie lachend. Bei Spaziergängen auf dem Hampstead Heath redeten sie sich die Köpfe heiß. Ach, du willst keine Kinder, sie stören dich? Du fühlst dich zu jung für Kinder? Er war fünf Jahre jünger als sie – konnte das eine Rolle spielen? Und die ganze Zeit hatte sie ihr Zuhause bei Jason und Vivien, das ihr Sicherheit vermittelte. Nach zwei Wochen hatte er genug: „Wir müssen aufhören zu reden! Es wird Zeit, dass wir eine gemeinsame Wohnung suchen. Ich fühle mich hier nicht frei genug.“ <br />
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Im <i> Ham and High</i>, dem örtlichen Immobilienblatt, standen nicht viele Wohnungen und Häuser zur Miete. Die Wohnung sollte eine zentrale Lage haben und vor allen Dingen nicht zu teuer sein. Sie ging mit Vivien auf Erkundungstour, und sie entdeckten die Leverton Street, eine kleine Straße mit Reihenhäusern, nur wenige Minuten von der U-Bahn-Station Kentish Town entfernt. Bald standen sie vor einem Haus, das zur Miete angeboten wurde, und gleich am nächsten Tag konnten er und sie es besichtigen.<br />
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Es war Liebe auf den ersten Blick: Ein bescheidenes, kleines Reihenhaus, das Erdgeschoß völlig offen, mit einem Wohn- und einem Esszimmer und einer offenen Küche zwischen beiden Räumen. Die Fußböden hatten Holzdielen, und die Küche war gefliest. Im Esszimmer konnte man durch ein großes Skylight in den Himmel schauen, im Wohnzimmer befand sich ein kleiner schmiedeeiserner Kamin. Im Obergeschoß gab es nur ein Schlafzimmer, das Bad und ein Airing Cupboard für den Warmwasserboiler und zum Warmhalten der Handtücher. Die Fußböden waren mit Teppich ausgelegt, auch im Bad. Vor dem Haus ein winziger Vorgarten, von einer Hecke umrahmt und hinter dem Haus ein etwas größerer Garten, vollständig von Mauern umgeben und mit Kies belegt, in der Mitte eine kleine Weide. Ein Gefühl von Stille und Geborgenheit stellte sich bei ihr ein, als sie das Knirschen unter ihren Füßen hörte und eine Briese in den Zweigen der Weide wahrnahm.<br />
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Sie besprachen, was zu tun sei, um es in ihr Zuhause zu verwandeln. Die Wände weiß streichen und ein paar gebrauchte Möbel kaufen, das würde reichen. Und während er in seinem Büro arbeitete, stellte sie Tisch und Stühle und ein Schlafsofa ins Esszimmer, ein altes, eisernes Bett ins Schlafzimmer und legte dicke Bodenkissen vor den Kamin. Als alles fertig war, zog sie bei Jason und Vivien aus, und er konnte endlich sein kaltes und ungemütliches Wohngemeinschaftszimmer in Camden Town verlassen.<br />
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<b>VI</b><br />
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Nun begann der Alltag, den sich beide gewünscht hatten, zumindest, was das Zusammenleben betraf: Kochen, am Kaminfeuer sitzen und reden, Spiele spielen und sich Geschichten aus ihrem Leben erzählen. Ein Glas Wein, ein Joint, und sie fühlten sich wie im letzten Sommer, einander nah und neugierig. Sie erzählte von ihrer Familie und dass sie sich mit ihrem Bruder nicht verstünde. Sein Bruder war auch ein Problem für ihn. Er war nur ein Jahr älter als er, sie sahen sich sehr ähnlich und würden oft streiten, da sie in Konkurrenz zueinander stünden. Nur zögernd erzählte er dann, dass seine Schwägerin ermordet worden sei, man hatte ihre Leiche am Strand gefunden. Sie sei dort jeden Tag schwimmen gegangen. Sein Bruder sei als Tatverdächtiger festgenommen worden. <br />
„Um Himmelswillen! War er denn der Täter?“ <br />
Er schaute sie empört an:<br />
„Natürlich nicht! Wir warten auf die Hauptverhandlung, die Gerichte brauchen halt so ihre Zeit. Bis dahin ist er noch frei.“ <br />
„Und du bist hier in England und nicht bei ihm?“<br />
„Was soll ich schon groß für ihn tun? Lass uns lieber noch eine Runde Scrabble spielen.“ Sie schluckte, wollte nachhaken, sah aber sein abweisendes Gesicht und schwieg. <br />
<br />
Nachts schrieb sie in ihr Tagebuch: Mich gruselt diese Geschichte mit der ermordeten Schwägerin. Aber mein Geliebter hat ja auch so eine kleine sadistische Ader, mehr in seelischer Hinsicht, aber immerhin. Liegt das in der Familie? Sie schrieb ihre Tagebucheinträge immer auf Deutsch, nur für den Fall, dass er einmal hineinschauen sollte. <br />
<br />
Wenn er Freunde im Pub treffen wollte, tat er dies ohne sie, obwohl er sie jedes Mal bat, mitzukommen. Eines Abends ging sie dann doch mit, um seine Freunde kennenzulernen. Im Hound and Horse ging es hoch her. Laute Gespräche, die Musikbox röhrte, es roch nach Bier und Zigaretten. Seine Freunde liefen zu Höchstform auf, wenn es um das Erraten von Rock- und Popsongs ging – die Anfangsworte reichten, und die Gruppe war im Bild. Auch er blühte auf. Nur sie konnte nicht mithalten, ihr Musikgeschmack war eklektizistisch, mal hier ein Popsong, mal da eine Rockballade oder auch ein Stück klassische Musik. Ein dicker Australier saß ihr gegenüber und lehnte sich nach einer Weile über den Tisch:<br />
„Is wohl nicht so dein Ding? Oder interessiert einen das in deinem Alter nicht mehr?“ Hatte er seinen Freunden erzählt, dass sie fünf Jahre älter war? Sie schaute zu ihrem Geliebten, er saß direkt neben ihr, aber tat so, als wenn er nichts gehört hätte. <br />
Der dicke Australier legte nach: <br />
„Wieso sprichst du so gut Englisch? Bist du ein Chamäleon?“ <br />
Ihre Stimme zitterte leicht, als sie antwortete. „Ich bin Englischlehrerin und hab hier einige Jahre gelebt.“ <br />
„Ich finde, du biederst dich bei den Briten an. Man hört ja nicht mehr, dass du Deutsche bist. Bei uns hört man immer, dass wir von down under kommen, das mögen sie nicht, die Limies.“ <br />
Er lachte grölend, während alle anderen am Tisch still geworden waren und sie erstarrt dasaß. Wofür sollte sie sich verteidigen – dass ihr Englisch so gut war? Sollte sie belegen, dass sie sich nicht anbiederte? Dann wurde der Gesprächsfaden langsam wieder aufgegriffen, und bald kam Soccer dran. Mit Fußball kannte sie sich noch weniger aus. Sie nahm ihre Handtasche, verließ grußlos den Hound and Horse und ging zum Hampstead Heath, der nur um die Ecke lag. <br />
<br />
Sie hatte keine Eile nach Hause zu kommen und brauchte frische Luft. Es schmerzte sie, dass er sie nicht verteidigt hatte! Wieso grenzte er sie immer aus, ließ sie nicht in sein Leben, während sie ihm in jeder Hinsicht ein Zuhause bot? Aber wusste sie nicht schon die Antwort? Vor einigen Tagen hatte er ihr gesagt, wie sehr er sich von ihr bedrängt fühlte: „Du hast deine Liebe immer vor mir ausgebreitet, so groß und weit wie ein Tennisplatz! Für mich eine Einladung zum Match von beiden Seiten!“ Sie blieb noch eine Weile auf einer Bank sitzen und schaute zur Stadt herunter. Vom Heath aus konnte man weit über das nächtliche London schauen, selbst die Houses of Parliaments waren zu sehen. Hier war ihr zweites Zuhause, das Gefühl der Geborgenheit und die tiefe Zuneigung ihrer Freunde Jason und Vivien zogen sich durch ihr Leben wie ein warmer Strom. Als sie etwas später in die Leverton Street zurückkam, blieb sie vor dem Haus stehen. War er schon zu Hause? Sie wollte nicht die Erste sein, er könnte glauben, sie würde auf ihn warten. Durch die Rollos schien Licht. Sie traf auf ihn in der Küche, er war betont fröhlich:<br />
„Toller Abend! Wo bist du denn hingegangen? Auf den Heath? Aber Ma’am, das ist nachts riskant!“<br />
„Nicht so riskant, wie von einem deiner Freunde beleidigt zu werden!“ <br />
„Das musst du nicht so ernst nehmen, der hatte einen in der Krone.“ <br />
„Und warum hast du nicht zu mir gestanden?“ <br />
„Wie, was? Du kannst dich doch selber verteidigen, eine so starke Frau, wie du es bist!“ Er feixte sie an.<br />
<br />
In der Nacht lag sie still neben ihm. Er schlief fest, sie stand auf und ging ins Bad. Setzte sich auf den weichen Teppichboden und schrieb in ihr Tagebuch. <i>Ich muss einen Deckel auf meine Gefühle schieben - bevor er mich noch mehr verletzt. Ich weiß jetzt, dass wir uns trennen </i><i>werden</i>. In den kommenden Tagen schlief er nicht mehr mit ihr, und wenn sie sich an ihn kuschelte, gab er vor, müde zu sein. Was auch gut möglich war, denn er hatte zusätzlich zu seinem Bürojob einen Putzjob in einer Snackbar angenommen. Wenn er um fünf Uhr früh aufstand, machte sie ihm ein kleines Frühstück und legte sich dann noch einmal hin. Erotische Nächte gab es nur, wenn er einen Joint geraucht hatte. Sie selbst rauchte mit, weil sie merkte, dass er dann ihre Nähe suchte, weicher wurde. Sie war immer noch empfänglich für seine Berührungen, seine Stimme, den Ausdruck in seinen Augen, den Geruch seines Körpers, ganz gleich, wie sehr sie sich voneinander entfernt hatten. Aber trotz Dope kam sie nicht mehr zum Zuge. Kaum hatte er seinen Höhepunkt erreicht, drehte er sich um und schlief ein. <br />
<br />
Eines Tages mussten Handwerker die Wasserleitungen im Bad reparieren, und sie war kurz zuvor mit ihrem Fuß umgeknickt und konnte sich nur noch humpelnd mit einer Gehhilfe bewegen. Sie lag im Bett und konnte direkt in den kleinen Vorgarten schauen. Er hatte begonnen, die Hecke zu schneiden, die Handwerker waren schon gegangen, und sie fiel zu dem Schnipp-Schnapp der Heckenschere in den Schlaf. Ein neues Geräusch ließ sie wieder aufwachen: Es plätscherte aus dem Badezimmer, das Wasser hatte schon ihr Bett erreicht. Sie schrie auf und klopfte an die Fensterscheibe – er stand draußen und schwatzte mit einem Nachbarn, blickte nur kurz zum Fenster hoch, drehte ihr dann den Rücken zu und setzte die Heckenschere wieder in Bewegung. Sie erhob sich, griff ihre Gehhilfe, humpelte durch das Wasser und schaute, von wo es kam: Eine Leitung war geplatzt, und das Wasser strömte ungehindert in die Räume. Noch einmal zurück zum Fenster, klopfen und schreien. Sie rüttelte an der Fensterverriegelung, konnte sie aber nicht öffnen, weil sie klemmte. Er sah wieder zu ihr hoch und schnitt ungerührt weiter. Der Absperrhahn für das Wasser befand sich im Erdgeschoss, direkt neben dem Eingang. Sie humpelte die Treppe hinunter und riss die Haustür auf. Da endlich ließ er seine Heckenschere fallen und kam zu ihr, ohne Eile. Als er sah, wie hinter ihr Wasser über die Treppe lief, erschrak er, rannte zum Haupthahn und drehte ihn zu. <br />
„Wieso bist du nicht gekommen, als ich ans Fenster klopfte?“<br />
Er schwieg.<br />
„Ich habe drei Mal geklopft und gerufen – es hätte ja sonst was passiert sein können.“<br />
„Ich weiß nicht, warum ich nicht reagiert habe.“<br />
„Du hast wahrscheinlich gedacht Lass die doch klopfen, was will die schon wieder.“<br />
„Kann sein, dass ich das gedacht habe. Schon möglich.“<br />
<br />
<b>VII</b> <br />
<br />
Durch das Schlafzimmerfenster schien die Morgensonne. Sie streckte sich, schob ihre Tagebücher und die Fotos beiseite, um nun endlich ihre Taschen zu packen. In wenigen Stunden würde sie die Fähre in Harwich erreichen, um das Land zu verlassen. Aber um wirklich keine Liebe mehr für ihn zu empfinden, würde sie noch eine Weile brauchen. Schnell war sie mit dem Packen fertig. Nun einen frischen Kaffee kochen und nachschauen, ob er noch im Haus war.<br />
<br />
Als sie die Tür aufschloss, hörte sie, dass er duschte. Sie lief die Treppe hinunter und schaute sich ein letztes Mal in der Küche um, während sie auf das Kochen des Wassers wartete. Auf dem Beistelltisch neben der Schlafcouch lag noch immer die Zehnpfundnote, er hatte sie mit einem Kieselstein aus dem Garten beschwert. Die Taschen waren gepackt, seine Jacke hing über dem Stuhl am Telefon. Auf dem Fußboden daneben lag sein Pass, der ihm wohl aus der Jackentasche gefallen war. Sie hob ihn auf und warf einen Blick hinein: Der Familienname stimmte, aber der Vorname war der seines Bruders. Sie hielt sich am Stuhl fest. Er war mit dem Pass seines Bruders unterwegs – er <b>war</b> der Bruder - er hatte seine Frau ermordet! Ihre Nackenhaare stellten sich auf. Ihr Verstand gab ihr kurze Befehle: Wasserkocher ausstellen, Pass zurück in die Jackentasche stecken! Welche Tasche? Innen, außen? Sie schob ihn in die Innentasche und flüchtete nach oben.<br />
<br />
Im Schlafzimmer schloss sie die Tür wieder ab, ihre Hände fühlten sich feucht an. Hoffentlich würde er nicht bemerken, dass sie sein Geheimnis entdeckt hatte. Aber er konnte ja nicht wissen, dass sein Pass aus der Jackentasche gefallen war. Während sie wartete, begann sie langsam zu begreifen, was wirklich passiert war. Wie er kein Hotelzimmer hatte buchen wollen, wie er sie angeherrscht hatte, weil er glaubte, sie würde seine Sachen durchsuchen. Dann roch sie frischen Kaffeeduft, und kurz darauf schlug die Haustür zu. Sie legte ihr Ohr an die Zimmertür, ihr Atem flog noch etwas. Im Haus war alles still. Vorsichtig drehte sie den Schlüssel um und zog die Tür auf. Er stand vor ihr! Schön wie ein keltischer Prinz. Die Morgensonne fiel auf sein lächelndes Gesicht als er die Hände nach ihr ausstreckte. "Bad luck"<div class="separator" style="clear: both; text-align: center;"><a href="https://blogger.googleusercontent.com/img/b/R29vZ2xl/AVvXsEimRW8NV3SgryxckmGoOmSY5IjxiSfQg6ERtXBwzp-J9Ja31t3oi0gbV1abIUQjLTKPG-wA9XoRf5YDTlWr4v543c2KZ-hjjuex-MyFT2fbOJGsKwIme9KFI1SDnxmB5NGZYkoCbELj9HU/s1600/Unbenannt-36.jpg" imageanchor="1" style="clear:left; float:left;margin-right:1em; margin-bottom:1em"><img border="0" height="275" width="400" src="https://blogger.googleusercontent.com/img/b/R29vZ2xl/AVvXsEimRW8NV3SgryxckmGoOmSY5IjxiSfQg6ERtXBwzp-J9Ja31t3oi0gbV1abIUQjLTKPG-wA9XoRf5YDTlWr4v543c2KZ-hjjuex-MyFT2fbOJGsKwIme9KFI1SDnxmB5NGZYkoCbELj9HU/s400/Unbenannt-36.jpg" /></a></div><br />
sagte er und schob sie in ihr Zimmer.Eva Tannerhttp://www.blogger.com/profile/12597055182294516245noreply@blogger.com6tag:blogger.com,1999:blog-2558588348444159288.post-32197498939032153772011-10-18T08:35:00.000-07:002011-10-18T08:35:58.759-07:00In Zeiten des abnehmenden Lichts von Eugen Ruge, Rowohlt VerlagMeine Motivation, dieses Buch zu lesen bestand darin, dass ich unbedingt wissen wollte, wie ein Autor schreibt, der den Alfred-Döblin-Preis erhalten hat. <br />
Das ist nun klar. Eugen Ruge ist ein Erzähler, jemand, der eine spannende Geschichte zu erzählen hat. Aber nicht nur der Inhalt, sondern auch die Form zeugen von großem schriftstellerischem Können. So werden einzelne Kapitel aus unterschiedlichen Perspektiven erzählt und den Protagonisten ihre eigene Art zu sprechen gegeben. In vielen Kapiteln schwingt eine leise Ironie mit. <br />
<br />
Trotzdem ist das Buch nur dem zugänglich, der in der Lage ist, Zusammenhänge aus der deutschen Geschichte aus östlicher Perspektive herzustellen. Wer die Geschichte des Kommunismus nicht kennt, stochert im Dunkeln. Auch fehlende Hintergrundinformation bzgl. Locations schmälern den Lesegenuss. So fand ich, als westdeutsche Leserin, mich ständig am Hin- und Herblättern zwischen den Kapiteln, um diese Zusammenhänge zu suchen. Interessant ist, dass bei amazon drei Rezensenten<b><b></b></b> sich die Mühe machen, den Plot zu erläutern und sie damit die von mir empfundene Schwäche aufgreifen. Aber lesenswert ist das Buch allemal!Eva Tannerhttp://www.blogger.com/profile/12597055182294516245noreply@blogger.com0tag:blogger.com,1999:blog-2558588348444159288.post-50817796550556593592011-10-18T05:59:00.000-07:002011-10-18T05:59:01.447-07:00Frau W. (Auszug aus "Taube in der Tanne")Der Textauszug "Frau W." ist in "Menschlichkeit im Sein und Werden", in der Anthologie der Autoren Plattform von Manfred Wrobel im Engelsdorf Verlag erschienen. ISDN 3-86703-486-9Eva Tannerhttp://www.blogger.com/profile/12597055182294516245noreply@blogger.com0tag:blogger.com,1999:blog-2558588348444159288.post-80265957125074407402011-10-18T05:17:00.000-07:002011-10-18T06:00:16.002-07:00Beiträge zur Anthologie "Winterreise"Die Allegorie "<b>Die weiße Katze</b>" und das Gedicht "<b>Unterwegs</b>" haben es zwischen zwei Buchdeckel geschafft: "Winterreise", Anthologie zu den Dritten Berner Bücherwochen, Hg. Reinhard Rakow, Geestverlag.ISBN 978-3-86685-317-1.Eva Tannerhttp://www.blogger.com/profile/12597055182294516245noreply@blogger.com1tag:blogger.com,1999:blog-2558588348444159288.post-36604118584616777172011-06-14T03:21:00.001-07:002011-06-14T03:37:08.008-07:00GRAUE VORZEITENEs war einmal vor langen Jahrhunderten, in grauen Vorzeiten, die aber nicht grau, sondern grün waren. Grün die Wiesen, Wälder, Sümpfe und der Dschungel. Wo heute Städte und Menschen sind, da gab es damals Tiere. Auch solche, die es heute nicht mehr gibt.<br />
<br />
Mitten unter ihnen Puff, ein Zauberdrachen und sein Freund, ein kleines, weißes Einhorn. Puff hatte einen farbig schillernden Schwanz, der mit stufenförmigen Zacken besetzt war. Aus seinem Rachen konnte er Feuer speien, je nach Lust und Laune in einer anderen Farbe. Er war ungeschickt und trampelig, doch das machte er durch seine Zauberkünste wieder wett. Wenn er etwas zertreten hatte, wedelte er mit seiner Schwanzspitze einmal drüber, und es war wieder heil. Mehr zaubern konnte er nicht. Es reichte auch.<br />
<br />
Das kleine, weiße Einhorn war nur so groß wie eine von Puffs Vorderpfoten. Es konnte sich nach Herzenslust an seinen schuppigen Beinen kratzen, und dabei verfingen sich seine<br />
Stirnlocken oft in den Schuppen. Dann schimpfte es, dass der Drache so ungepflegt war. Aber sonst waren beide unzertrennlich. Sie rollten und tollten, das Einhorn galoppierte den Rücken<br />
des Drachen rauf und runter, und gab es mal einen Kampf mit einem Saurier, setzte sich das Einhorn auf den Kopf des Drachen und senkte die Stirn zum Angriff. Der Feueratem, das bohrende Horn und der Stufenschwanz schlugen alle in die Flucht. <br />
<br />
So hatten sie nie um ihr Leben zu fürchten. Es gab für sie unzählige Bäume und fettes Gras zum Fressen und einen weißen Badestrand zum Spielen. Nie gab es etwas Wichtigeres als alle ihre Spiele: die Balanceakte des Einhorns auf der Spitze des Stufenschwanzes, das Bäumeausreissen, Anbohren und Verkohlen und das Muschelaufpiecken mit dem gezwirbelten Horn.<br />
<br />
Eines Tages kam der große Regen. Es war Noah, der wusste, dass aus dem Regen eine Sintflut werden würde und der darum alle Tiere auf seiner großen Arche retten wollte. Zwei bei zwei führte er die Tiere auf sein Boot. Er vergaß keines: die Elefanten, die Krokodile, die Vögel, die Schlangen, die Löwen und Tiger gingen über den Bootssteg, der von ihren Schritten widerhallte. Bis in den nahe gelegenen Wald drang ihr Brüllen, Schnattern und Dröhnen. <br />
<br />
Das Einhorn hob seinen Kopf, das heißt es bohrte ihn aus einem Baum heraus und lauschte. Auch Puff, der emsig den Baum ankohlte, hörte auf Feuer zu speien. Sie galoppierten auf<br />
die Waldschneise und sahen die Arche. <br />
<br />
Der Himmel war bleigrau, und unaufhörlich strömte der Regen auf die Erde nieder. Um die<br />
Hufe des Einhorns bildeten sich kleine Seen. Es scharrte unschlüssig im Matsch, stupste den Drachen, und dann stoben beide in den Wald zurück. Noahs beschwörendes Rufen hallte hinter ihnen her.<br />
"Herbei ihr Tiere groß und klein! Steigt alle in die Arche ein!"<br />
Er war ein pflichtbewusster Mensch, und so drängte er den Drachen und das Einhorn, obwohl er Angst hatte, er könnte mit dem Horn das Boot anbohren oder der Feueratem es verbrennen. Doch die beiden meinten, es gäbe noch so viel zu tun. Der zuletzt angebohrte Baum stand erst halbverkohlt in seiner vorsintflutlichen Umgebung.<br />
<br />
Und mit Horn und Feueratem führten sie ihr zerstörerisches Werk fort. Noahs Rufen war hier, im tiefen Wald, nicht mehr zu verstehen. Puff peitschte das Wasser um sich herum auf, dass es nur so sprühte. Sie suhlten und sie rollten sich, die nassen Zweige schlugen ihnen um die Ohren. <br />
<br />
Doch als das Wasser dem viel kleineren Einhorn bis zum weichen, weißen Bauch reichte, befiel es Furcht. Es kletterte auf Puffs breiten Stufenrücken und ließ sich tragen. Der Zauberdrache bekam eine besorgte Falte auf der Stirn und lief zur Lichtung. Sie sahen die Arche davon schwimmen, überladen mit Tieren. Affen hingen an den Außenwänden und ihre Arme dehnten sich entsetzlich aus, den Pelikanen beulte sich der Kropf vom Fahrtwind und die Kängurus hingen mit den Hinterbeinen über Bord, so dass ihre Vorderpfoten getreten wurden und sie sie später nie mehr zum Laufen benutzen konnten, sondern nur noch mit den Hinterbeinen sprangen. Aber was tat’s, sie waren gerettet! <br />
<br />
Den Drachen packte schiere Furcht, das Einhorn zitterte und stieß klagende Laute aus.<br />
Sie wateten ein Stück dem Boot hinterher, doch bald blieben sie stehen. Der Regen fiel von Minute zu Minute stärker, die Wolken senkten sich tiefer, und die Arche entschwand immer schneller ihren Blicken. <br />
<br />
Von einem Hügel aus sahen sie ihr hinterher, bis sie nur noch ein Punkt am Horizont war. Hinter ihnen, im Tal, ertranken die Saurier. Träge und faul hatten sie sich bis zuletzt nicht um Noah geschert.<br />
<br />
Das kleine Einhorn klagte laut und bot einen traurigen Anblick, ganz nass und verloren auf dem Rücken des Drachens, hoch oben auf dem Hügel.<br />
<br />
Da ertrank auch der Drache. Sein bunter Stufenschwanz durchfurchte verzweifelt das Wasser, aber seine Zauberkraft ertrank mit ihm. Das kleine, weiße Einhorn wurde in den Sog des versinkenden Drachens gezogen. Nur ein paar Sekunden lang drehte sich noch das gezwirbelte Horn im Sog. <br />
<br />
Und von da an waren die Vorzeiten wirklich grau.Eva Tannerhttp://www.blogger.com/profile/12597055182294516245noreply@blogger.com2tag:blogger.com,1999:blog-2558588348444159288.post-2078839459576281682010-12-29T02:23:00.000-08:002011-02-08T03:43:13.236-08:00SO EIN MENSCH„Püppi, möchtest du nicht zu mir ziehen? Einen Mann werden wir für dich schon finden und eine Stelle auch. Vielleicht nicht hier, aber sicher in Stade oder Hamburg.“ Dann schwieg er. Ich zögerte einen Moment – er wartete. Und ich lehnte ab:<br />
„Bitte, Papa. Ich hab doch einen Freund und eine sehr gute Arbeit.“<br />
Ich legte auf und merkte, dass ich unsicher wurde. War seine Stimme nicht leiser als sonst? Schwächer? Aber zu ihm ziehen, in dieses Dorf auf dem platten Land? Wie stellte er sich das vor? Und dann dieser Begriff <i>Stelle.</i> Dazu kam auch immer eine <i>Stube</i>, wenn er mir in seinem Haus ein Dach über dem Kopf anbot. Wozu hatte ich studiert? Sollte ich mich wieder kleinmachen?<br />
<br />
Meine Eltern lebten getrennt, meine Mutter und ich in Berlin und mein Vater in Osten an der Oste. Das O von Osten ganz lang gezogen. Ein hübscher kleiner Ort, direkt hinter dem Ostedeich, zwei Stunden von Hamburg aus, Richtung Cuxhaven. Gut für einen Wochenendausflug an die Nordsee, vielleicht eine Fahrradtour am Deich entlang. Leben wollte ich dort nicht. Am nächsten Tag rief meine Mutter an und sagte, dass Vater einen Schlaganfall gehabt hätte. Er war auf dem Deichweg zusammengebrochen und lag nun im Stader Krankenhaus. In nur wenigen Stunden hatte ich meinen Unterricht abgesagt, eine Vertretung organisiert und war unterwegs Richtung Norden. Meine Mutter wollte nicht zu mir ins Auto steigen und würde den Zug nach Hamburg nehmen. Von West-Berlin bis nach Osten waren es sechs bis sieben Stunden Fahrtzeit, ein Teil der Strecke über die Transitstraßen durch die DDR. Hier galt eine Geschwindigkeitsbegrenzung von 100 km/h. Ein gemächliches Tempo, bis auf die Momente, an denen ich dem bleihaltigen Auspuffgestank eines Trabbis durch Überholen entkommen wollte. Aber sonst: Musik hören, rauchen, meinen Gedanken nachhängen. Draußen flog die flache, märkische Landschaft vorbei. <br />
<br />
Wir lebten in verschiedenen Welten, mein Vater und ich. Meine Mutter hatte es in meiner Kindheit nie gemocht, wenn ich Zeit mit Vater verbrachte. Sie war besorgt, dass er versuchen würde, mich für seine Religion zu gewinnen. So gab es nur einen Elternteil für meinen Bruder und mich in unserem Alltag: Mutter. An Feiertagen und Wochenenden war Vater zugegen, hielt Reden, las aus der Bibel vor oder zitierte sie auswendig. Aber habe ich ihn überhaupt richtig kennengelernt? <br />
<br />
Er erkrankte an Polio als er elf Jahre alt war und hatte als viertes Kind eines Bahnschrankenhilfsanwärters in einem kleinen Dorf im Anhaltinischen keinerlei medizinische Betreuung. Ein Jahr lang lag er schreiend in seinem Bett, während sein linkes Bein abstarb. Es blieb für immer das schlaffe, leblose Bein eines Elfjährigen. Mein Großvater baute ihm ein Brett mit Rädern darunter, auf das er sich bäuchlings legen und mit den Händen abstoßen konnte. Als der 1. Weltkrieg vorbei war, lud sich Großvater seinen nun vierzehnjährigen Sohn auf den Rücken und schleppte ihn nach Berlin, zur Charité. Dort begann für meinen Vater ein neues Leben. Er bekam einen Gehapparat und durfte eine Ausbildung zum Orthopädiemechaniker und Bandagisten machen. So ließ er sein Dorf im Anhaltinischen hinter sich und suchte sich seinen Platz in der großen Stadt. Seine Rettung in der Charité hatte ihn religiös werden lassen, aber nicht ganz freiwillig. Vielmehr hatte mein Großvater eindringlich erklärt, ihm würde nur geholfen werden, wenn er gottgläubig würde.<br />
<br />
Und so kannte ich ihn: Er betete bei Tisch, und auch wir wurden dazu angehalten. Ein groß gewachsener Mann mit vollem Haar, einem buschigen Schnurrbart, gestützt auf einen Stock, Schnürstiefeln mit dicken Sohlen als Ausgleich für das zu kurze linke Bein und einem Gehapparat, der beim Hinsetzen und Aufstehen immer laut knackte. Er hatte eine schöne, tragende Stimme, und ich neigte dazu, vor mich hinzudösen, den Inhalt völlig auszublenden und mich nur von dieser Stimme einhüllen zu lassen. Ich glaube, ich hätte ihn lieben können, aber ich durfte nicht. Wenn ich mich falsch verhielt, sagte mir meine Mutter, ich sei wie mein Vater – rücksichtslos und laut! Eine Steigerung der Schmähung war der Vergleich mit meiner Großmutter väterlicherseits. So wurde meine Mutter zu meiner großen Liebe und nicht mein Vater. Auch sie war aus dem Anhaltinischen, und das hörte man: „Lauter Fikukjen und Sperenzien! Iss deine Bemme und sei ruhig.“ Ordentlich, vernünftig und ruhig sein waren ihre erzieherischen Vorgaben, Vater sagte dazu meist gar nichts. Nur bei der Demut waren sie sich einig. Wenn man das Haus meiner Kindheit betrat, prangte unübersehbar ihr Leitmotiv auf einem Birkenholzbrettchen im Korridor an der Wand: „Wie klein das ist, was einer ist, wenn man’s an seinem Dünkel misst“. <br />
<br />
Vater war ein unruhiger Mensch, einer, der immer auf der Suche nach einem Zuhause war. So zogen wir alle paar Jahre um, und wir Kinder wechselten dann die Schule, verloren alle Freunde und begannen uns heimatlos zu fühlen. Seit einigen Jahren nun lebte er in Osten an der Oste. Ein schöner roter Backsteinbau auf dem Deich, eingebettet in den Ort, sowohl die Schwebefähre über die Oste, als auch die Kirche in Sichtnähe.<br />
<br />
Ich fuhr Richtung Westen, der Sonne entgegen. Sie blendete mich. Bei Marienborn fuhr ich über die deutsch-deutsche Grenze, rollte langsam in das Niemandsland ein. Es war kaum möglich, die vorgeschriebenen zehn km/h einzuhalten. Plötzlich knallte es laut, die Windschutzscheibe riss in dünne Spinnenfäden! Ein Stein hatte sie getroffen. Was tut man in so einem Falle? Mit den Ferngläsern der Volkspolizei im Rücken fuhr ich betont langsam weiter. Auf der Westseite, in Helmstedt, konnte ich endlich anhalten. Schlug die Scheibe ganz raus und besorgte mir in der nächsten Tankstelle Klarsichtfolie, die ich über den Rahmen klebte. Dann eine Telefonzelle suchen und Werkstätten anrufen. Erst in Braunschweig fand ich eine, die mir zusagte, sie würden mir sofort eine neue Scheibe einsetzen können. Schritttempo bis Braunschweig, ungeduldiges Warten auf die Reparatur. Vater hatte auch einen Führerschein, obwohl er mit seinem Gehapparat die Pedale nicht bedienen konnte. Er hatte sich in unseren alten Opel eine Handschaltung für Gas, Bremse und Kupplung einbauen lassen. <br />
<br />
Ich hatte Zeit verloren, drückte aufs Gas, erreichte die Bundestrasse 74, die bis nach Cuxhaven hochgeht. Viel befahren, eine lange Schlange ungeduldig hupender und drängelnder Autofahrer, vielleicht auf dem Heimweg von der Arbeit in Hamburg. Am Straßenrand wiederholt Holzkreuze für Verunglückte. Bei jedem Treffen mit Vater in Osten, oder auch mit seinem Bruder auf der anderen Seite des Flusses, in Hemmoor-Basbeck, wurde zu Kaffee und Kuchen aufgezählt wie viele, meist junge, Menschen wieder an einen Baum geprallt waren. „Das ist ein deftiger Schlag, die Familie deines Vaters“ würde meine Mutter dies kommentieren. <br />
<br />
Ich fuhr an Stade vorbei, sah von der Straße aus das Krankenhaus, hoch oben, mit Blick zur Bundesstraße. Morgen würde ich ihn mit Mutter besuchen, gleich nach dem Abholen vom Basbecker Bahnhof. Durch Hemmor-Basbeck hindurch, dann über die breite Brücke nach Osten. Ich konnte das Haus schon sehen, und plötzlich fühlte es sich wie Zuhause an. In der unteren Etage wohnte Herr Hubert, Vaters Mieter. Er ließ mich herein, wir wechselten ein paar Worte: „Ihr Vater war auf dem Weg zum Mittagessen im Fährkrug, als er zusammenbrach. Ich habe den Notarzt gerufen.“ Vielen Dank auch. Ich ging nach oben, zog die Tür hinter mir zu, öffnete alle Fenster zur Oste hin und setzte mich erschöpft. In der Dämmerung strömte der Fluss langsam an unserem Haus vorbei, braun und still. Schlickhaltiger und mit Schilf bewachsener Uferrand. Er hat eine Tide und wechselt alle sechs Stunden die Richtung: Hin zur Nordsee und wieder zurück ins Land zur Quelle. Ich griff in das kleine Bücherregal neben dem Wohnzimmerfenster, konnte gerade noch die Buchtitel erkennen. Die Bibel, Atlanten, die „Religionen dieser Welt“, Bücher über Botanik. Ich sah ihn vor mir, wie er durch den Garten hinkte, eine Gießkanne in der Hand, sah im Haus meiner Kindheit den Topf mit den eingeweichten Eierschalen auf dem Fensterbrett in seinem Zimmer. Es stank, aber es war guter Dünger. „Komm Püppi, dünge doch bitte die Johannisbeerbüsche.“ Na danke, da verzog ich immer das Gesicht. Ich war ein Stadtmensch, ich hatte keine Zeit für einen Garten. Obst und Gemüse kaufte ich im Supermarkt.<br />
<br />
Am nächsten Tag holte ich Mutter vom Bahnhof ab. Meine schöne, kleine Mutter. Sie ist immer das kleine Mädchen geblieben, das sie war, als ihre Mutter starb. Auch als erwachsene Frau, selbst bei den härtesten körperlichen Arbeiten, konnte ich das Kind in ihr spüren. Sie trug Rüschen an allen Kleidern und Schuhe mit hohen Absätzen, am liebsten knallrot. Hatte rabenschwarze, wilde Locken und grüne Augen. Ich kannte alle ihre Leidensgeschichten und habe sie mit ihr geteilt. Die Ehe mit meinem Vater erlebte sie als Qual, sie fühlte sich ausgenutzt und lieblos behandelt. Ich konnte daran nichts ändern, ihr nur meine Liebe geben.<br />
<br />
Im Stader Krankhaus nahm ich dann endlich meinen Vater in den Arm. „Dass ihr da seid, ich bin so froh“ verstanden wir, das Sprechen fiel ihm schwer. Er wusste nicht, wo er war, konnte sich an nichts erinnern. Aber er schaute zum Fenster und sagte „Die Straße nach Berlin.“ Er hatte einen großen Bluterguss am Hals. Der Arzt erklärte uns, dass sie eine Gefäßdarstellung gemacht und einen Tumor im Kopf entdeckt hätten, viel zu groß, um ihn noch operieren zu können. Nun wussten wir, dass er es nicht überleben würde. Abends saßen Mutter und ich im Wohnzimmer und besprachen, was wir alles tun müssten. Es war meine erste Beerdigung und außer schwarzer Kleidung und einer Grabstelle fiel mir nichts ein. Aber dann wurde die Liste immer länger, und wir sammelten Adressen für Benachrichtigungen der Verwandten und Bekannten, entwarfen einen Text für eine Anzeige, trugen Stationen seines Lebens zusammen für die Grabrede, suchten nach Vaters persönlichen Papieren, blieben in Schubläden hängen: Was sind das für Tabletten? Hat er denn immer Schmerzen gehabt? Warum haben wir nicht bemerkt, dass er einen Tumor hatte? War er denn so vergesslich?<br />
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Am darauf folgenden Tag kam mein Bruder aus Frankfurt, ich holte ihn in Hamburg vom Flughafen ab. Im Krankenhaus standen wir drei nun an Vaters Bett. Er hatte seinen Sohn seit mehreren Jahren nicht gesehen, auch seine Enkelin kannte er nicht. Ach, Papa. Ich kämmte ihm die Haare und reinigte seine Fingernägel. Mutter und Bruder weinten, verließen das Zimmer. Und ich überwandt alle Scheu, die Hemmungen von jahrzehntelanger Abkehr von ihm und sagte „Papa, bitte werde wieder gesund, wir brauchen dich doch. Ich habe dich so lieb.“ <br />
<br />
Am nächsten Tag hatte er Fieber und wurde an einen Tropf gehängt. Nach einem weiteren Tag waren seine Augen weit aufgerissen, sein Mund blieb offen, und ein Arm stand starr in der Luft. Er starb, ohne dass ich bei ihm war. Ich kam fünf Minuten zu spät. Aber sein Sohn hielt seine Hand.<br />
<br />
Aufbahrung in der Friedhofskapelle. Ein kahler, weißgetünchter Raum mit einem Fenster. Nur Platz für den offenen Sarg. Auf weißer Seide schlohweißes Haar. Atmete er nicht doch noch? Seine Haut war gelb, die Hände ineinander gefaltet, die Fingerkuppen blau, seine geschlossenen Augen tief eingesunken. Ich hatte gehofft, ihn so zu sehen, wie er noch vor wenigen Tagen ausgesehen hatte: sanft, weich, fast kindlich. Wo zeigte sich die letzte Ruhe? Er sah nur erschöpft aus. Draußen brauste der Wind laut, hier drinnen war es einsam und kalt, kalt bis in meine Knochen. Der kälteste und einsamste Ort, den ich je sah. Ich hielt mich an einem Gedicht fest: Man kann reiten und fahren, zu zwein und zu drein. Den letzten Weg muss man gehen allein.<br />
<br />
Auf der Heimfahrt nach Berlin blieben meine Gedanken bei ihm. Er war mir vorangegangen, den Weg, den wir alle gingen. Würde er mich erwarten, wenn ich so weit wäre? War ich ihm ähnlich, würde ich ihm sogar immer ähnlicher werden, ohne mein Zutun? Häuser und Gärten lieben, einen grünen Daumen entwickeln? Der Gedanke tröstete mich. Auf einem Rastplatz hielt ich an, faltete unauffällig meine Hände. Bis ich Ruhe in mir fühlte. Ich war durch mein Leben ohne Vorbilder gegangen, hatte mir immer hier eine Erkenntnis, dort etwas Weisheit geholt. Bei Menschen und aus Büchern. Die besten Erkenntnisse aber waren die, die ich auf dem Wege der Erfahrung selbst gesammelt hatte. Sie waren es, die ich verinnerlicht hatte. Mein Vater hatte an Gott im Himmel geglaubt, aber ich wusste, dass wir alle ein winziges Stückchen Gott in uns trugen, so wie jeder Mensch immer seine Mutter und seinen Vater in sich trug und doch nicht ihr Abbild, sondern ein eigener Mensch war.Eva Tannerhttp://www.blogger.com/profile/12597055182294516245noreply@blogger.com3tag:blogger.com,1999:blog-2558588348444159288.post-71288783746433127102010-11-12T20:37:00.000-08:002010-11-12T20:37:47.896-08:00ICH LESE, ICH HABE GELESEN<!--StartFragment--> <br />
<div class="MsoNormal">Bei meinen Buchbesprechungen beziehe ich mich gelegentlich auf den Begriff „Show, don’t tell“.<span style="mso-spacerun: yes;"> </span>Besonders gut vermittelte die Bedeutung dieses Begriffes Paul Schuster in seinen „39 Goldenen Regeln“.<span style="mso-spacerun: yes;"> </span>Deshalb stelle ich diese hier voran:<o:p></o:p></div><div class="MsoNormal"><br />
</div><div class="MsoHeading7"><b>12 Zeigen</b><span style="mso-spacerun: yes;"> </span><o:p></o:p></div><div class="MsoNormal" style="margin-right: 14.4pt; mso-pagination: none; tab-stops: 57.6pt;"><span style="font-family: Arial;">Zeigen Sie! Aber nicht auf sich selbst. Was Sie selber gesehen, gehört, gefühlt und gedacht haben, kann andere nur dann ansprechen (anzupfen), wenn Sie es für Ihren Zuhörer, Ihren Leser sichtbar, hörbar, fühlbar, denkbar machen. <o:p></o:p></span></div><div class="MsoNormal" style="margin-right: 14.4pt; mso-pagination: none; tab-stops: 57.6pt;"><br />
</div><h2><span style="font-family: Arial;"><span class="Apple-style-span" style="font-size: medium;">13 Gefühle</span><span style="mso-spacerun: yes;"> </span><o:p></o:p></span></h2><div class="MsoNormal" style="margin-right: 14.4pt; mso-pagination: none; tab-stops: 57.6pt;"><span style="font-family: Arial;">Ein häufiger Irrtum besteht in der Vorstellung, man könne Gefühle beschreiben. Man kann sie nicht beschreiben, aber man kann sie übertragen, vermitteln, indem man die Umstände beschreibt, die sie ausgelöst haben, oder indem man sie über ein Bild ausdrückt.<o:p></o:p></span></div><div class="MsoNormal"><br />
</div><div class="MsoNormal" style="line-height: 150%; margin-left: 28.4pt;"><br />
</div><div class="MsoNormal" style="line-height: 150%; margin-left: 28.4pt;"><br />
</div><div class="MsoNormal" style="line-height: 150%; margin-left: 42.6pt;"><br />
</div><div class="MsoNormal" style="line-height: 150%; margin-left: 18.0pt;"><br />
</div><div class="MsoNormal" style="line-height: 150%; margin-left: 36.0pt; mso-list: l1 level1 lfo2; tab-stops: list 36.0pt; text-indent: -18.0pt;"><span style="font-size: 16.0pt;"><b>1.<span style="font: 7.0pt "Times New Roman";"> </span></b></span><span style="font-size: 16.0pt;"><b>Jenny Erpenbeck „Heimsuchung“, Eichborn Verlag<o:p></o:p></b></span></div><div class="MsoNormal" style="line-height: 150%;"><br />
</div><div class="MsoNormal" style="line-height: 150%;"><br />
</div><div class="MsoNormal" style="line-height: 150%;">Jenny Erpenbeck ist für mich eines der größten literarischen Talente der modernen deutschen Literatur. Sie erzählt die Geschichte eines Hauses mit zwölf Lebensgeschichten durch alle Phasen Deutschlands. „Heimsuchung“ ist zwischen zwei Buchdeckeln ein Zuhause für die Sehnsucht nach einer Heimat und eine Suche, die schwer auf der Seele liegt.<span style="mso-spacerun: yes;"> </span>Ich habe dieses Buch nicht aus der Hand legen können, weil auch ich zu den Suchenden zähle, aber vor allem, weil ihre Sprache sich festsetzte, in meinem Ohr und<span style="mso-spacerun: yes;"> </span>in meinem<span style="mso-spacerun: yes;"> </span>Herzen. <i>Einmal noch geht er die Treppe hinauf, sie knarrt bei der zweiten, siebenten und der vorletzten Stufe, geht am Zimmer seiner Frau vorüber, aus dem riecht es so, wie immer, nach Pfefferminz und nach Kampfer. Der Weg zu seinem Atelier führt durch das dämmrige Schrankzimmer, ein kleines Fenster hat er dort eingebaut, halbrund, vom Strohdach beschattet wie ein Auge, vor kurzem erst ist ihm an diesem Fenster ein Marder erschienen...im Gebälk hört er die Marder scharren.</i><span style="font-style: normal;"><o:p></o:p></span></div><div class="MsoNormal" style="line-height: 150%;">Ganz besonders habe ich den Prolog, über die Entstehung des Sees, an dem dieses Haus steht, geliebt. Jenny Erpenbecks Sprache ist wohl das, was man mit „Show don’t tell“ meint: der Leser sieht, hört, riecht und fühlt alles selbst, ohne dass die Autorin es einem in den Mund legt.<o:p></o:p></div><div class="MsoNormal" style="line-height: 150%;"><br />
</div><div class="MsoNormal" style="line-height: 150%;"><br />
</div><div class="MsoNormal" style="line-height: 150%;"><span style="font-size: 16.0pt;"><b>2.<span style="mso-spacerun: yes;"> </span>Sabine Bode „Die vergessene Generation: Die Kriegskinder brechen ihr Schweigen“<o:p></o:p></b></span></div><div class="MsoNormal" style="line-height: 150%;"><br />
</div><div class="MsoNormal" style="line-height: 150%;">Ein Sachbuch, das mir in der Aufarbeitung meiner Biografie sehr geholfen hat.</div><div class="MsoNormal" style="line-height: 150%;">Sabine Bodes Recherche legt den Fokus auf die Generation der zwischen 1930 und 1945 geborenen Deutschen. In ihrem Vorwart sagt sie „<i>Es dauerte eine ganze Weile, bis ich begriff, dass es sich bei den Jahrgängen von 1930 bis 1945 in<span style="mso-spacerun: yes;"> </span>Wahrheit um mehrere Generationen handelt. Denn es macht einen großen Unterschied, in welchem Alter ein Kind diesem Krieg ausgeliefert war: ob als Säugling, als Kleinkind oder vor oder nach der Pubertät.“</i><span style="font-style: normal;"> Millionen von Deutschen haben noch den Bombenkrieg, die Vertreibung und den Verlust der Väter in ihrer Erinnerung. Da ich das aber nicht mehr direkt erlebt habe, wurde ich erst fündig, als es um die Erziehungsmethoden im 3. Reich ging. Und somit öffnete mir das Kapitel „</span><i>Nazi-Erziehung: Hitlers willige Mütter“</i><span style="font-style: normal;"> die Augen. Die Erziehungsmethoden einer gewissen Johanna Haarer hatten nicht nur in den 30er und 40er Jahren Kinder verbogen, sondern noch viele Jahrzehnte danach. Erst mit der 68er Generation wurde erneut darüber nachgedacht, dass es keine „Affenliebe“ ist, wenn man einen Säugling nicht schreien lassen will, wenn man ihm nicht „seinen Willen brechen will“, wenn es außer Sauberkeit und Ruhe noch andere Ziele in der Erziehung gibt. Ich habe viele Mütter wiedererkannt, die die Liebesunfähigkeit ihres Kindes verursachten, die ihre Kinder nicht wirklich „riechen“ konnten. Und habe so nachträglich erkannt, dass der Faschismus im ganz Kleinen seinen Ursprung nimmt und dass er sich noch Jahrzehnte lang<span style="mso-spacerun: yes;"> </span>in unseren deutschen Köpfen gehalten hat.</span></div><div class="MsoNormal" style="line-height: 150%;"><br />
</div><div class="MsoNormal" style="line-height: 150%;"><br />
</div><div class="MsoNormal" style="line-height: 150%; margin-left: 18.0pt; mso-list: l0 level1 lfo1; tab-stops: list 18.0pt; text-indent: -18.0pt;"><span style="font-size: 16.0pt;"><b>3.<span style="font: 7.0pt "Times New Roman";"> </span></b></span><span style="font-size: 16.0pt;"><b>Michel Friedman „Kaddisch vor Morgengrauen“, Aufbau Verlag<o:p></o:p></b></span></div><div class="MsoNormal" style="line-height: 150%;"><br />
</div><div class="MsoNormal" style="line-height: 150%;">Da ich an einem Roman über eine jüdische Familie arbeite, war es nur folgerichtig, dass ich mir auch dieses Buch kaufte. Ich glaubte den Autor aus dem Fernsehen zu kennen, wo er ein häufiger Gast bei Talkshows ist. Wie immer er sich dort<span style="mso-spacerun: yes;"> </span>präsentiert, dieses Buch hier zeigt einen anderen Michel Friedman.<span style="mso-spacerun: yes;"> </span>Ich gehe davon aus, dass ein Großteil dieses „Romans“ autobiografisch ist. Julien, der Hauptprotagonist, erzählt seinem kleinen Sohn von dessen Großeltern und von dem Leben seines Vaters. Er schreibt leidenschaftlich und liebevoll, ohne dabei kitschig zu werden. Seine Sprache ist knapp, aber bildhaft, mit vielen inneren Monologen.<span style="mso-spacerun: yes;"> </span>Auch dieses Buch konnte ich nicht zur Seite legen, weil es mich wie in einen Sog zog. Der Grund dafür ist dieser ununterbrochene Erzählstrom, diese Erzählstimme in der Ichform. Sie ist überzeugend und fesselnd.<span style="mso-spacerun: yes;"> </span>Als ich Wochen später diese kleine Kritik schreiben wollte, konnte ich mich allerdings nur noch an die eigentliche Kernsequenz, die Totenwache, das Kaddisch, erinnern. Was bis heute aber haften blieb, ist das Bild von Michel Friedman selbst, so wie er sich in diesem Roman darstellt.<span style="mso-spacerun: yes;"> </span>Im gewissen Sinn ist dies das genaue Gegenteil zu Jenny Erpenbeck, die durch ihre Bücher nur wenig durchschimmert. Dafür glaube ich einen literarischen Grund gefunden zu haben: So wie Jenny Erpenbeck „Show don’t tell“ schreibt, schreibt Michel Friedman hauptsächlich „Tell don’t show“. Die Kaddisch-Sequenz aber ist so geschrieben, dass hier der Icherzähler nicht von seinen Gefühle erzählt, sondern man sie als Leser selbst ableiten kann. Aber der große Bogen dieses Romans<span style="mso-spacerun: yes;"> </span>wird erzählt.<span style="mso-spacerun: yes;"> </span>Und das macht der Autor gut. So gut, dass er eigentlich auch Schriftsteller werden könnte. Dann allerdings würde ihm eine große Prise „Show don’t tell“ gut tun.</div><div class="MsoNormal" style="line-height: 150%;"><br />
</div><div class="MsoNormal" style="line-height: 150%;"><br />
</div><div class="MsoNormal" style="line-height: 150%; margin-left: 18.0pt; mso-list: l0 level1 lfo1; tab-stops: list 18.0pt; text-indent: -18.0pt;"><span style="font-size: 16.0pt;"><b>4.<span style="font: 7.0pt "Times New Roman";"> </span></b></span><span style="font-size: 16.0pt;"><b>Ferdinand von Schirach „Schuld“, Verlag Piper<o:p></o:p></b></span></div><div class="MsoNormal" style="line-height: 150%;"><br />
</div><div class="MsoNormal" style="line-height: 150%;">Ferdinand von Schirach arbeitet als Anwalt und Strafverteidiger in Berlin.<o:p></o:p></div><div class="MsoNormal" style="line-height: 150%;">Fünfzehn Geschichten über Schuld, Leid und Strafverfolgung werden literarisch entwickelt und erzählt, mit dramatischen Wendepunkten und einem Plot. Letzteres wurde vom Leben geschrieben – nehme ich an. Gleich die erste Geschichte versetzte mir einen Schlag in den Magen. Die fröhliche Biederkeit der neun Männer einer Blaskapelle schlägt um in animalische Triebe und Frauenverachtung. Danach legte ich das Buch erst einmal beiseite. Die Geschichten sind kurz und eignen sich gut für das tägliche Lesen. Ich allerdings musste bei jeder Geschichte so schlucken, dass es für mich keine Bettlektüre wurde. Ich ziehe meinen Hut vor dem Autoren, aber weiß auch, dass er nicht zu meinen Lieblingsschriftstellern zählen wird.<o:p></o:p></div><div class="MsoNormal" style="line-height: 150%;"><br />
</div><div class="MsoNormal" style="line-height: 150%;"><br />
</div><div class="MsoNormal" style="line-height: 150%; margin-left: 18.0pt; mso-list: l0 level1 lfo1; tab-stops: list 18.0pt; text-indent: -18.0pt;"><span style="font-size: 16.0pt;"><b>5.<span style="font: 7.0pt "Times New Roman";"> </span></b></span><span style="font-size: 16.0pt;"><b>Herta Müller<span style="mso-spacerun: yes;"> </span>„Atemschaukel“<o:p></o:p></b></span></div><div class="MsoNormal" style="line-height: 150%;"><br />
</div><div class="MsoNormal" style="line-height: 150%; margin-bottom: 12.0pt; mso-layout-grid-align: none; mso-pagination: none; text-autospace: none;">Der Literaturnobelpreis ging in 2009 an Herta Müller. Ich hatte noch nie etwas von ihr gehört. In den Printmedien wurden besonders ungewöhnliche Textpassagen abgedruckt, und ich fühlte mich nicht motiviert, dieses Buch zu kaufen. Doch eines Tages kaufe ich es doch und das Unerwartete geschah: Gleich der erste Satz nahm mich gefangen. <i>Alles, was ich habe, trage ich bei mir. ..."Der Schweinslederkoffer war ein Grammophonkistchen. Der Staubmantel war vom Vater. Der städtische Mantel mit dem Samtbündchen am Hals vom Großvater- Die Pumphose von meinem Onkel Edwin." </i><span style="font-style: normal;">Ein Siebzehnjähriger erzählt, wie er deportiert wird, zuerst noch erpicht darauf, endlich sein Zuhause verlassen zu können. In der ersten Person Einzahl beschreibt er alle Details der Deportation, der Zugfahrt, des Ankommens, des Hungers, der Arbeit, der Kälte. Alles, was eigentlich stumpfsinnig sein müsste, verschlinge ich beim Lesen! Zuerst knicke ich die Seiten, damit ich später besonders gute Formulierungen wieder finden kann, gebe das aber bald auf. Es gibt NUR atemberaubend poetische Formulierungen. Wenn Herta Müller über den Hunger schreibt, zieht sich das über viele Seiten hin, und nie wird es langweilig. </span><i>"Wenn ich nichts zum Kochen hatte, schlängelte mir der Rauch durch den Mund. Ich zog die Zunge einwärts und kaute leer. Ich aß Speichel mit Abendrauch und dachte an Bratwurst." </i><span style="font-style: normal;"> Sechs Seiten nur über ZEMENT. Hunger bietet sich natürlich schon poetisch an, aber Zement? </span><i>"Man musste sich in acht nehmen vor dem Zement, er konnte zum Alptraum werden. ... Der Zement ist ein Betrug wie Straßenstaub, Nebel und Rauch – er fliegt in der Luft, kriecht auf der Erde, klebt an der Haut. Überall ist er zu sehen und nirgends zu fassen. ... Der Zement frisst das Zahnfleisch wund. Wenn man den Mund öffnet, zerreißen die Lippen wie Zementsackpapier." </i><span style="font-style: normal;">Eine atemberaubende Sprache, sowohl knapp als auch poetisch.<span style="mso-spacerun: yes;"> </span>Ich konnte dieses Buch nur häppchenweise lesen, weil ich jedes Wort einzeln inhalierte. Es ist kein Roman im üblichen Sinn, kein Buch das man in einem Stück durchliest. Eher eine Sprachkreation, bei der die Neologismen daherkommen wie ein raffiniertes Dessert. Etwas für Sprachgenießer.<o:p></o:p></span></div><div class="MsoNormal" style="line-height: 150%; margin-left: 18.0pt; mso-list: l0 level1 lfo1; tab-stops: list 18.0pt; text-indent: -18.0pt;"><span style="font-size: 16.0pt;"><b>6.<span style="font: 7.0pt "Times New Roman";"> </span></b></span><span style="font-size: 16.0pt;"><b>Bernhard<span style="mso-spacerun: yes;"> </span>Schlink „Sommerlügen“, Diogenes Verlag<o:p></o:p></b></span></div><div class="MsoNormal" style="line-height: 150%;"><br />
</div><div class="MsoNormal" style="line-height: 150%;">Mein augenblicklicher Lieblingsautor, einer, der mich tagelang begleiten kann.<o:p></o:p></div><div class="MsoNormal" style="line-height: 150%;">Die kleinen, „schwermütig schönen Erzählungen“ (Klappentext) eignen sich gut für eine tägliche Leseportion. Was mir unter anderem besonders gut gefällt, ist die Perspektive des männlichen Erzählers, die mir die Ängste der Männer näher brachte. Einer der Protagonisten empfand sich z. B. „ als nicht besonders begehrensstark“, als eine Frau ihm zeigte, dass sie ihn begehrte – ein Wort und ein Gefühl, dass mich tagelang beschäftigte.<span style="mso-spacerun: yes;"> </span>Da war die Angst davor, die eigene Welt aufgeben zu müssen und dafür lieber auf die Liebe zu verzichten. Angst vor Auseinandersetzungen und<span style="mso-spacerun: yes;"> </span>Angst, die Freiheit zu verlieren. Viele dieser Ängste hat jede Frau schon bei geliebten Männern erlebt, aber hier werden sie alle nachvollziehbar erzählt, ohne dabei weinerlich zu werden. Besonders berührt hat mich u.a. diese Passage: <i>Das Gefühl, dass ich einer Frau nicht widersprechen, ihr nichts abschlagen darf, dass ich ihr gegenüber aufmerksam und zuvorkommend sein, mit ihr flirten muss – ich denke, es hat mit meiner Mutter zu tun. Ich habe es immer, und ich verhalte mich automatisch so, ob mir die Frau gefällt oder nicht, ob ich was von ihr will oder nicht. Dadurch wecke ich Erwartungen, die ich nicht erfüllen kann; eine Weile versuche ich’s trotzdem, aber dann wird es mir zu viel, und ich stehle mich davon, oder die Frau wird es leid und zieht sich zurück. Das ist ein dummes Spiel, und ich sollte lernen, es zu lassen.<o:p></o:p></i></div><div class="MsoNormal" style="line-height: 150%;">Die ersten beiden Geschichten, „Nachsaison“ und „Die Nacht in Baden-Baden“, waren meine Favoriten!<span style="mso-spacerun: yes;"> </span>Schlink schreibt sowohl „Show don’t tell“, wenn er in einzelne Szenen einsteigt, als auch „Tell“, wenn er über längere Passagen nur erzählt. Letzteres hat mich gelegentlich ermüdet. Gleichzeitig hat es mich ermutigt, endlich selbst zu meiner Erzählstimme zu finden und mich nicht immer nur von Szene zu Szene zu hangeln, um „Show don’t tell“ einzuhalten.<o:p></o:p></div><div class="MsoNormal" style="line-height: 150%;"><br />
</div><!--EndFragment-->Eva Tannerhttp://www.blogger.com/profile/12597055182294516245noreply@blogger.com3tag:blogger.com,1999:blog-2558588348444159288.post-58096519173511163162010-10-25T06:23:00.000-07:002010-10-27T15:48:38.978-07:00Veröffentlichungen<div class="MsoNormal"><div class="separator" style="clear: both; text-align: center;"><a href="https://blogger.googleusercontent.com/img/b/R29vZ2xl/AVvXsEgoODLODKbQ7Ux_6upddGYIK47zr43hXeWoE_cIt6Kdt85Ge2Fsqbe0CGS81w003gJ8IqRU7RGewxxd1xRH5YDO_stot9T9XeKz0BDTtYANfVcOT9H4bEUpSEiDhTYNXVjHGC5ecvqM8SU/s1600/coverbru%CC%88ggen.jpg" imageanchor="1" style="clear: right; float: right; margin-bottom: 1em; margin-left: 1em;"><img border="0" src="https://blogger.googleusercontent.com/img/b/R29vZ2xl/AVvXsEgoODLODKbQ7Ux_6upddGYIK47zr43hXeWoE_cIt6Kdt85Ge2Fsqbe0CGS81w003gJ8IqRU7RGewxxd1xRH5YDO_stot9T9XeKz0BDTtYANfVcOT9H4bEUpSEiDhTYNXVjHGC5ecvqM8SU/s1600/coverbru%CC%88ggen.jpg" /></a></div><br />
</div><div class="MsoNormal" style="line-height: 150%;"><a href="webkit-fake-url://45CB77E6-CF87-41E1-8E35-CB2D23FDC077/coverbr%C3%BCggen.jpg" imageanchor="1" style="clear: right; float: right; margin-bottom: 1em; margin-left: 1em;"><img alt="coverbrüggen.jpg" border="0" src="webkit-fake-url://45CB77E6-CF87-41E1-8E35-CB2D23FDC077/coverbr%C3%BCggen.jpg" /></a><span style="font-family: 'Trebuchet MS'; font-size: 12pt;">Mein Text wurde aus einigen hundert Einsendungen mitausgewählt und erscheint nun, mit vielen anderen Geschichten, in der unten stehenden Anthologie unter meinem Namen Eva Tanner.<o:p></o:p></span></div><div class="MsoNormal" style="line-height: 150%;"><br />
</div><div class="MsoNormal" style="line-height: 150%;"><span class="Apple-style-span" style="font-family: 'Trebuchet MS';"><b><br />
</b></span></div><div class="MsoNormal" style="line-height: 150%;"><span class="Apple-style-span" style="font-family: 'Trebuchet MS';"><span class="Apple-style-span" style="font-size: x-large;">SO EIN MENSCH</span></span></div><div class="MsoNormal" style="line-height: 150%;"><span style="font-family: 'Trebuchet MS'; font-size: 12pt;"><br />
</span></div><div class="MsoNormal" style="line-height: 150%;"><span style="font-family: 'Trebuchet MS'; font-size: 12pt;"><br />
</span></div><div class="MsoNormal" style="line-height: 150%;"><span style="font-family: 'Trebuchet MS'; font-size: 12pt;">Die Auseinandersetzung mit Vorbildern...</span><span class="Apple-style-span" style="font-family: Helvetica; font-size: 12px; line-height: normal;"></span><span class="Apple-style-span" style="font-family: 'Trebuchet MS'; font-size: 16px;">Anthologie zum ‚Dritten Brüggener Literaturherbst’</span></div><div class="MsoNormal" style="line-height: 150%;"><span style="font-family: 'Trebuchet MS'; font-size: 12pt;">Ellen Roemer (Hg.)<o:p></o:p></span></div><div class="MsoNormal" style="line-height: 150%;"><span style="font-family: 'Trebuchet MS'; font-size: 12pt;">Geest-Verlag 2010<o:p></o:p></span></div><div class="MsoNormal" style="line-height: 150%;"><span style="font-family: 'Trebuchet MS'; font-size: 12pt;">978-3-86685-269-3<o:p></o:p></span></div><div class="MsoNormal" style="line-height: 150%;"><span style="font-family: 'Trebuchet MS'; font-size: 12pt;">478 S., € 14,-<o:p></o:p></span></div><div class="MsoNormal" style="line-height: 150%;"><br />
</div><div class="MsoNormal" style="line-height: 150%; mso-layout-grid-align: none; mso-pagination: none; text-autospace: none;"><span style="font-family: 'Trebuchet MS'; font-size: 12pt;">Die Bandbreite der Vorbilder reicht dabei von bekannten Theoretikern, Musikern, Literaten, Sportlern, engagierten Menschen über familiäre Vorbilder, bis hin zu Menschen, denen man zufällig begegnet ist. Es können Haltungen und Eigenschaften sein, die man selber erreichen will oder auch ablehnt und die sich in der jeweiligen Person verkörpern. Häufig steht die Vorbildperson aber auch für ein Vertrauen, das man gespürt hat, ohne deren Werte und Verhaltensweisen zu teilen. Jeder der Beiträge führt uns als Leser zur Frage nach eigenen Vorbildern und damit auch in die Diskussion über unsere grundlegenden Werte und zur Auseinandersetzung, ob wir selbst Vorbild sein können und wollen.<o:p></o:p></span></div><div class="MsoNormal" style="line-height: 150%; mso-layout-grid-align: none; mso-pagination: none; text-autospace: none;"><br />
</div><div class="MsoNormal" style="line-height: 150%; mso-layout-grid-align: none; mso-pagination: none; text-autospace: none;"><span style="font-family: 'Trebuchet MS'; font-size: 12pt;">In zahlreichen Veranstaltungen des Brüggener Literaturherbstes vom 29.10. bis 20.11.10 werden die Texte erstmals der Öffentlichkeit präsentiert.<o:p></o:p></span></div><div class="MsoNormal" style="line-height: 150%; mso-layout-grid-align: none; mso-pagination: none; text-autospace: none;"><br />
</div><span style="font-family: 'Trebuchet MS'; font-size: 12pt;">Das Buch ist ab sofort im Buchhandel oder direkt ab dem Geest-Verlag erhältlich.</span>Eva Tannerhttp://www.blogger.com/profile/12597055182294516245noreply@blogger.com4tag:blogger.com,1999:blog-2558588348444159288.post-49887055788012836262010-10-12T20:56:00.000-07:002010-10-12T20:56:00.172-07:00TREIBHOLZ<div class="separator" style="clear: both; text-align: center;"><a href="https://blogger.googleusercontent.com/img/b/R29vZ2xl/AVvXsEi_czih38P801WaDzd5o13-x4KH0cxg9EupcUZkg6h1Md0-KhrZ_bXw1hssPHvJiW93mlXp4L1by155Rn5oW5ggDBW5PVhiJTQABrts4vRoN65ltXLnv5aXO1dvdlNmnd_HcgJtIMz0HNY/s1600/P1010648.JPG" imageanchor="1" style="margin-left: 1em; margin-right: 1em;"><img border="0" height="225" src="https://blogger.googleusercontent.com/img/b/R29vZ2xl/AVvXsEi_czih38P801WaDzd5o13-x4KH0cxg9EupcUZkg6h1Md0-KhrZ_bXw1hssPHvJiW93mlXp4L1by155Rn5oW5ggDBW5PVhiJTQABrts4vRoN65ltXLnv5aXO1dvdlNmnd_HcgJtIMz0HNY/s400/P1010648.JPG" width="400" /></a></div><!--StartFragment--> <br />
<div class="MsoNormal"><br />
</div><div class="MsoNormal"><br />
</div><div class="MsoNormal"><br />
</div><div class="MsoNormal"><span style="font-family: 'Trebuchet MS';"><span class="Apple-style-span" style="color: white;">Eine kleine, akzentuierte Liebesgeschichte mit 140 Zeichen in jedem Absatz. Für Twitter im Oktober 2010 geschrieben.<o:p></o:p></span></span></div><div class="MsoNormal"><br />
</div><div class="MsoNormal"><br />
</div><div class="MsoNormal"><br />
</div><div class="MsoNormal"><span style="font-family: 'Trebuchet MS';"><span class="Apple-style-span" style="color: white;">Als Accent Aigu zum ersten Mal Accent Grave sah, erschrak er. Er glaubte, sein seitenverkehrtes Ich zu sehen.<o:p></o:p></span></span></div><div class="MsoNormal"><br />
</div><div class="MsoNormal"><span style="font-family: 'Trebuchet MS';"><span class="Apple-style-span" style="color: white;">Accent Aigu näherte sich vorsichtig Accent Grave. Es knisterte, als sie sich berührten.<o:p></o:p></span></span></div><div class="MsoNormal"><br />
</div><div class="MsoNormal" style="line-height: 16.0pt; mso-layout-grid-align: none; mso-pagination: none; tab-stops: 11.0pt 36.0pt; text-autospace: none;"><span style="font-family: 'Trebuchet MS';"><span class="Apple-style-span" style="color: white;">Accent Aigu und Accent Grave lehnten sich aneinander und spürten, wie fest im Leben sie plötzlich standen. Sie waren ein Dach geworden: Ein Circonflexe.<o:p></o:p></span></span></div><div class="MsoNormal"><br />
</div><div class="MsoNormal" style="line-height: 16.0pt; mso-layout-grid-align: none; mso-pagination: none; tab-stops: 11.0pt 36.0pt; text-autospace: none;"><span style="font-family: 'Trebuchet MS';"><span class="Apple-style-span" style="color: white;">Accent Aigu ging auf Reisen. Circonflexe kollabierte und Grave geriet ins Wanken.<o:p></o:p></span></span></div><div class="MsoNormal"><br />
</div><div class="MsoNormal"><span style="font-family: 'Trebuchet MS';"><span class="Apple-style-span" style="color: white;">Grave stand windumtost am Meer. Sie war so schräg wie herbstliches Treibholz.<o:p></o:p></span></span></div><div class="MsoNormal"><br />
</div><div class="MsoNormal"><span style="font-family: 'Trebuchet MS';"><span class="Apple-style-span" style="color: white;">Dann waren sie wieder unter Circonflexe vereint, nicht ohne Folgen.<o:p></o:p></span></span></div><div class="MsoNormal"><br />
</div><div class="MsoNormal"><span style="font-family: 'Trebuchet MS';"><span class="Apple-style-span" style="color: white;">Ganz klein und gekrümmt tauchte unter dem Dach, unter Aigus und Graves Balken, ein Cedille auf.<o:p></o:p></span></span></div><div class="MsoNormal"><br />
</div><div class="MsoNormal"><span style="font-family: 'Trebuchet MS';"><span class="Apple-style-span" style="color: white;">War dieses Cedille schon immer da gewesen, nur hatten sie es nicht gesehen? Wo schlängelte es hin, das Würmchen?<o:p></o:p></span></span></div><div class="MsoNormal"><br />
</div><div class="MsoNormal"><span style="font-family: 'Trebuchet MS';"><span class="Apple-style-span" style="color: white;">Cedille hing mal hier, mal da, sagte Mama und Papa und wurde dick und fett.<o:p></o:p></span></span></div><div class="MsoNormal"><br />
</div><div class="MsoNormal"><span style="font-family: 'Trebuchet MS';"><span class="Apple-style-span" style="color: white;">Dann wurde Cedille zu schwer für Circonflexe, und es verließ das heimatliche Dach. Es zog nach Spanien und änderte dort seinen Namen.<o:p></o:p></span></span></div><div class="MsoNormal"><br />
</div><div class="MsoNormal"><span style="font-family: 'Trebuchet MS';"><span class="Apple-style-span" style="color: white;">Grave und Aigu waren nun alt und schwach geworden. Es fiel ihnen schwer, ein Circonflexe zu bilden.<o:p></o:p></span></span></div><div class="MsoNormal"><br />
</div><div class="MsoNormal"><span style="font-family: 'Trebuchet MS';"><span class="Apple-style-span" style="color: white;">Als Grave nach hinten kippte, fiel Aigu auf die Nase. Der Wind pustete die beiden dünnen Aufstriche über den Strand. Sie wurden zu Treibholz.</span><o:p></o:p></span></div><!--EndFragment-->Eva Tannerhttp://www.blogger.com/profile/12597055182294516245noreply@blogger.com2tag:blogger.com,1999:blog-2558588348444159288.post-38193589472436039402010-10-08T07:46:00.000-07:002010-10-08T10:10:18.909-07:00ROSALIE SOLO - das Leben einer Seekuh<div><div class="separator" style="clear: both; text-align: center;"><a href="https://blogger.googleusercontent.com/img/b/R29vZ2xl/AVvXsEj9_9VCOlQlOPXYHgk6EkD7v-Gjtcpi56rBKpURjcvlGUhQ6HS2qgtuTFJ6a8byAwRUgO3YOtFjYbE7WoZzDShTwjIduM7YkfU7TRpJnL_RUI3jF8HSxE8M_rUWBvcyR39EdrnJWR_mlio/s1600/Rosalie+Solo.jpg" imageanchor="1" style="margin-left: 1em; margin-right: 1em;"><img border="0" height="240" src="https://blogger.googleusercontent.com/img/b/R29vZ2xl/AVvXsEj9_9VCOlQlOPXYHgk6EkD7v-Gjtcpi56rBKpURjcvlGUhQ6HS2qgtuTFJ6a8byAwRUgO3YOtFjYbE7WoZzDShTwjIduM7YkfU7TRpJnL_RUI3jF8HSxE8M_rUWBvcyR39EdrnJWR_mlio/s320/Rosalie+Solo.jpg" width="320" /></a></div><br />
(Aquarell von Bettina Smith-Schroeder)<br />
<br />
<span class="Apple-style-span" style="line-height: 24px;">Sie steht im Wasser des</span><span class="Apple-style-span" style="line-height: 24px;"><i> </i></span><span class="Apple-style-span" style="line-height: 24px;"><span style="font-style: normal;">alten Schiffgrabens. Bis zur Hälfte, damit man sieht, wie sie die Arme über der Brust verschränkt, als Zeichen ihrer nimmermüden, gütigen Geduld. Ihre Lider sind rosa, die Wimpern lang, und auf der Stirn trägt sie eine Korkenzieherlocke. Rosaliens Stolz und Sitz ihrer Keuschheit sind ihre hellblauen Achselhöhlen. Wenn die Sonne scheint trägt sie ein kleines, weißes Hütchen aus Tüll, je nach Belieben mit Feld- und Wiesenblumen geschmückt. So steht sie, ein mildes, frauliches Lächeln auf den Lippen und harrt ihrer Kunden. Diese stürmen in wüstem Gehabe heran. Rosalie strafft sich, entspannt ihre Gesichtszüge und empfängt sie. Sie wird getunkt und angebrüllt und doch ertrinkt sie nie. Man staucht sie, um sich abzureagieren, man erleichtert sein Gewissen, entlädt seinen Zorn bei ihr und flüstert ihr böse Geheimnisse ins Ohr. Gütig gönnt sie ihren Kunden Ohr und Rat. Das Wasser rinnt ihr dabei über die rosa Lider, und das Lächeln verschwindet nie von ihren Zügen.</span></span><br />
<div class="MsoNormal" style="line-height: 150%;">Der hintere Teil des Schiffgrabens ist sumpfig und verwildert. Im Schlamm modern die Sünden und Geheimnisse der letzten Jahrzehnte. Hier entlädt Rosalie die Last der Beichte, stampft sie schnaubend durch den Schlamm, würgt sie die ihr anvertrauten Geheimnisse wieder raus. "Und dass du ja Dein Maul hältst!" äfft sie ihre Kunden nach. Dann schiebt sie sich wieder durch das Schilfdickicht, ein entspanntes Lächeln auf den Lippen.</div><div class="MsoNormal" style="line-height: 150%;">Madame Solos Stellung ist einmalig und unantastbar. Ihr Rat gilt und man vertraut ihr.</div><div class="MsoNormal" style="line-height: 150%;">Rosaliens Speiseplan ist exquisit aber handfest. Ihr Leib- und Magengericht sind Pfannkuchen. Dieser Leidenschaft frönt sie wann immer sie kann, obwohl sie nach ihrem Genus sichtbar in die Breite geht. Wenn es Abend wird zieht sich Madame Solo diskret in das Röhricht zurück, um sich einen Riesenhaarroller für die Stirnlocke einzudrehen. Sie ölt sich die seidigen Wimpern, und nach ihren abendlichen Meditationen im Scheine einer<b> </b><span style="font-weight: normal;">Kerze</span><b> </b><span style="font-weight: normal;">kippt sie nach hinten um, hält aber doch ihr Gleichgewicht. Nach einigem Hin- und Herruckeln legt sie sich auf den Rücken, die Hände über dem Bauch verschränkt, die langen Wimpern niedergeschlagen, die Füße, mit den drei Zehen, gerade aus dem Wasser ragend. So treibt sie auf ihrem Schiffgraben umher. Ist es windstill, findet man sie des morgens an der gleichen Stelle wie am Abend zuvor, weht der Wind leicht, treibt sie ab ins Röhricht, kommt Sturm, kreist sie unaufhörlich und Schwindel erregend auf dem Wasser.</span></div><div class="MsoNormal" style="line-height: 150%;"><br />
</div><div class="MsoNormal" style="line-height: 150%;">Rosaliens Milde und Güte sind bekannt in allen Landen. Ihre abgelegten Strohhüte lässt sie stets dem städtischen Fond für unterdrückte und hilfsbedürftige Seekühe zukommen. Allerdings geht sie nie so weit, dass sie Kränzchen oder dergleichen gibt. Sie liebt ihre Mitmenschen und Mitkühe auf weltumarmende Weise, doch lieber aus der Ferne. </div><div class="MsoNormal" style="line-height: 150%;"><br />
</div><div class="MsoNormal" style="line-height: 150%;">Ihr Reich umschließt den Garten mit dem Schiffgraben und auch den Hof mit der Teppichklopfstange. Hier kann sie mit ihren weichen, zarten Füßen über den Rasen gehen, und ihre drei Zehen finden noch Halt. Wenn sie zum Bäcker oder zum örtlichen Gasthof, der „Deutschen Eiche“ möchte, besteigt <i> </i><span style="font-style: normal;">sie einen kleinen zweirädrigen Wagen, der lange von einem Schwein gezogen wurde. Genau genommen von einer Wildsau, einer<b> </b></span>Bache<b>.</b><span style="font-weight: normal;"> Diese</span><b> </b><span style="font-weight: normal;">Bache war in jüngeren Jahren die Obersau des Ortes gewesen - sie hatte unzählige Frischlinge geworfen und in ihrer Freizeit sich dem Genus des kühlenden Schlamms im Schiffgraben hingegeben. Doch als das Alter nahte hatten die Wildsäue sie verstoßen und so war sie auf einen Broterwerb im Dienste der Seekuh angewiesen.</span></div><div class="MsoNormal" style="line-height: 150%;"><br />
</div><div class="MsoNormal" style="line-height: 150%;">Doch Rosalie und Sau fielen verständlicherweise unangenehm auf, nicht nur im Straßenverkehr, sondern auch die Nachbarn und Mitbewohner empörten sich. War es vertretbar sich von einem Schwein chauffieren zu lassen?</div><div class="MsoNormal" style="line-height: 150%;"><br />
</div><div class="MsoNormal" style="line-height: 150%;">Es bedurfte monatelanger Geduld, bis man ihr anhand von sozialkritischen Büchern verständlich gemacht hatte, dass alle auf der Welt gleich wären, zumindest einige. Von da an war es nur noch ein Katzensprung zur Entlassung der Bache. Diese ihrerseits quittierte den</div><div class="MsoNormal" style="line-height: 150%;">Vorgang mit dem Androhen von nächtlichen Rüsselattacken auf die Gärten. Seit dem findet so mancher Bürger morgens seinen Garten wie von Säuen durchpflügt. </div><div class="MsoNormal" style="line-height: 150%;"><br />
</div><div class="MsoNormal" style="line-height: 150%;">Nun geschah es aber eines Tages, dass Rosalie sich in die Gefahr begab, ihre Betriebsgeheimnisse auszuplaudern und zwar, als sie sich sinnlos mit Zwetschgenwasser betrank. Nach ihrem freien Tag fand man sie weder im Schiffgraben, noch im Garten.</div><div class="MsoNormal" style="line-height: 150%;">Hatte sie sich mit all den unseligen Kenntnissen der feuchten Beichtgeheimnisse davongemacht, sich etwa an die Ortspresse gewandt? Ihre Vertrauensstellung schamlos ausgenutzt, Verrat begangen? Endlich entdeckte man sie auf einem Hinterhof. Sie hatte sich auf die Hände fallen lassen, gab vor, ein vierbeiniges Tier zu sein, muhte grotesk und in falschen Tönen. Es roch stark nach Zwetschgenwasser, und Rosalie genierte sich nicht einmal den Kunden ihre hellblauen Achseln zu zeigen. Sogar beide. Sie baumelte an der Teppichklopfstange und bot ein schamloses Bild. Ihre sonntäglichen falschen Wimpern hatte sie kurzerhand an die Stange geklebt. Zu dem Gejohle und Gemuhe tanzte sie einen Tango. <i> </i><span style="font-style: normal;">Heute wird ihr Blick ganz starr und leer, wenn man die Taktlosigkeit besitzt, sie an diese Entgleisung zu erinnern.</span></div><div class="MsoNormal" style="line-height: 150%;"><br />
</div><div class="MsoNormal" style="line-height: 150%;">Nach diesem Ereignis fand man Rosalie viel damit beschäftigt in die Bibliothek zu fahren und dort unauffällig an den Buchrücken entlang zu schlendern, hin zu den Büchern der Moraltheologie. Man konnte sie oft zitierend über den Rasen gehen sehen, jederzeit bereit, graziös den Kopf zu neigen, wenn Nachbarn am Zaun entlangkamen, jederzeit bereit, ein paar Worte über das Wetter von sich zu geben. Vielleicht auch noch eine kleine Lebensweisheit, die sie aus ihren moralischen Büchern hatte<i>. </i><span style="font-style: normal;">Sie verschwand nun öfter und tiefer im Röhricht, wo man sie bei den Kaulquappen schnauben und röhren hörte. Und die vertrauensbildenden Maßnahmen ließen die Kunden erleichtert ihre Dienste wieder in Anspruch nehmen. Vergessen war auch die Zeit, wo sie mit der<b> </b></span>Bache vor ihrem Arenawägelchen durch die Straßen geprescht war, sie anheizend und aufmöbeln laut geschrieen hatte: "Schneller, schneller!" Und vor allem vergessen die beschämende Szene an der Teppichklopfstange.</div><div class="MsoNormal" style="line-height: 150%;">Rosalie war reifer und verständiger geworden. Das kam ihrer Arbeit zugute. Wo sie früher mürrisch Wasser ihren nächtlichen Kunden ins Gesicht gespritzt hatte, sollte es einer wagen, sie zu später Stunde zu belästigen, da setzte sie heute ein müdes Lächeln auf und hörte sich</div><div class="MsoNormal" style="line-height: 150%;">geduldig die Klagen an. Nur durfte man sie von hinten, wenn sie schlief und auf dem Wasser trieb, nicht anschreien. Dann ging sie sang- und klanglos unter. Dies tat sie übrigens auch, wenn man sie persönlich beleidigte. Sie ging einfach unter und kam nicht mehr hoch. Bei klarem Wetter sah man sie dann auf dem Grunde des Schiffgrabens stehen, an das Röhricht gelehnt und an einem Grashalm nagend. Ihre Lungen waren kräftig und ihr Ärger berüchtigt. Nur Blasen, die hochstiegen, verrieten, dass sie vor sich hinredete. Wenn sie gebeugt und mit zerfurchter Stirn und den Händen auf dem Rücken den Schiffgraben entlang lief, dann war auch nicht gut Kirschen mit ihr essen. Sie brachte es dann fertig, hämisch einen falschen Rat zu geben, und bis spät in die Nacht konnte man ihr grölendes Gelächter hören, wenn sie sich vor Schadenfreude auf die Schenkel schlug, dass das Wasser hoch aufspritzte. Somit setzte sie der Läuterung Grenzen. </div><div class="MsoNormal" style="line-height: 150%;"><br />
</div><div class="MsoNormal" style="line-height: 150%;">So hat Madame Solo doch nie ein Sterbenswörtchen über die ihr anvertrauten Klagen und Geheimnisse ausgeplaudert. Der von von ihr abgelegte Eid des Hippopotamus war ihr stets heilig geblieben. Bekanntlich ist dieser Eid nicht nur für Nilpferde sondern auch für Seekühe bindend. In all den vielen Jahren war sie verschwiegen gewesen, wie es nur eine Seekuh sein kann. Und so steht sie im Schiffgraben zu Sacrow, zur Hälfte im Wasser, Symbol kühischer Weisheit, Eleganz und Nützlichkeit, quasi unbezahlbar.</div><div class="MsoNormal" style="line-height: 150%;"> </div><div class="MsoNormal" style="line-height: 150%;"> </div></div><div><br />
</div><div><br />
</div>Eva Tannerhttp://www.blogger.com/profile/12597055182294516245noreply@blogger.com2tag:blogger.com,1999:blog-2558588348444159288.post-7130137928821169002010-09-16T06:45:00.000-07:002010-09-16T06:45:10.806-07:00GedichteKreisgedicht:<br />
<br />
<!--StartFragment--> <br />
<div class="MsoNormal"><b><span class="Apple-style-span" style="font-size: x-large;">Mein Netz</span></b><span style="font-weight: normal;"><span class="Apple-style-span" style="font-size: x-large;">, </span></span></div><div class="MsoNormal"><br />
</div><div class="MsoNormal">gewebt aus Gelassenheit, Mut, Weisheit, Liebe, Nähe, Distanz, Zorn, Trauer, Beharrlichkeit, Geduld, Selbständigkeit, Ungehorsam, Freude, Unantastbarkeit.<span style="mso-spacerun: yes;"> </span>All dies behütet mich und ist</div><div class="MsoNormal"><br />
</div><div class="MsoNormal"><b><span class="Apple-style-span" style="font-size: x-large;">mein Netz.</span></b></div><!--EndFragment-->Eva Tannerhttp://www.blogger.com/profile/12597055182294516245noreply@blogger.com2tag:blogger.com,1999:blog-2558588348444159288.post-53419496849708596102010-09-16T06:40:00.000-07:002010-09-16T06:40:58.256-07:00Gedichte<!--StartFragment--> <br />
<div class="MsoNormal"><br />
</div><div class="MsoNormal"><span style="mso-tab-count: 1;"> </span><span style="mso-tab-count: 1;"> </span><span style="mso-tab-count: 1;"> </span><span style="mso-spacerun: yes;"> </span>Anfangen</div><div class="MsoNormal"><span style="mso-tab-count: 1;"> </span><span style="mso-tab-count: 1;"> </span><span style="mso-tab-count: 1;"> </span><span style="mso-spacerun: yes;"> </span></div><div class="MsoNormal"><span style="mso-tab-count: 1;"> </span><span style="mso-tab-count: 1;"> </span><span style="mso-tab-count: 1;"> </span><span style="mso-spacerun: yes;"> </span>Aber<span style="mso-spacerun: yes;"> </span>wie ?</div><div class="MsoNormal"><br />
</div><div class="MsoNormal"><span style="mso-tab-count: 1;"> </span><span style="mso-tab-count: 1;"> </span><span style="mso-tab-count: 1;"> </span>Immer wieder neu -</div><div class="MsoNormal"><br />
</div><div class="MsoNormal"><span style="mso-tab-count: 1;"> </span><span style="mso-tab-count: 1;"> </span><span style="mso-spacerun: yes;"> </span>Mitten drin im Leben -</div><div class="MsoNormal"><br />
</div><div class="MsoNormal"><span style="mso-tab-count: 1;"> </span><span style="mso-tab-count: 1;"> </span><span style="mso-tab-count: 1;"> </span><span style="mso-tab-count: 1;"> </span>Heute!</div><div class="MsoNormal"><br />
</div><!--EndFragment-->Eva Tannerhttp://www.blogger.com/profile/12597055182294516245noreply@blogger.com0tag:blogger.com,1999:blog-2558588348444159288.post-757893547837585132010-09-16T06:38:00.000-07:002010-09-16T06:38:15.164-07:00Gedichte<!--StartFragment--> <br />
<div class="MsoNormal">Schubläden voller </div><div class="MsoNormal">Zügellosigkeit und Lust.</div><div class="MsoNormal"><br />
</div><div class="MsoNormal">Eingesperrt in<span style="mso-spacerun: yes;"> </span>dunkle</div><div class="MsoNormal">Mahagoniefächer,</div><div class="MsoNormal">auf Papier und Ton.</div><div class="MsoNormal"><br />
</div><div class="MsoNormal">Gleiten leicht und sanft,</div><div class="MsoNormal">hin und her.</div><div class="MsoNormal"><br />
</div><div class="MsoNormal">Sind offen,</div><div class="MsoNormal">aber unerreichbar.</div><div class="MsoNormal"><br />
</div><div class="MsoNormal">Für kein Geld zu kaufen.</div><!--EndFragment-->Eva Tannerhttp://www.blogger.com/profile/12597055182294516245noreply@blogger.com0tag:blogger.com,1999:blog-2558588348444159288.post-3117287003048946182010-09-16T06:35:00.000-07:002011-10-18T05:25:00.367-07:00Unterwegs<span></span><span></span> <!--StartFragment--> <br />
<div class="MsoNormal">Ich verstehe immer weniger</div><div class="MsoNormal">je länger ich lebe.</div><div class="MsoNormal"><br />
</div><div class="MsoNormal">Reicht es, immer auf dem</div><div class="MsoNormal">richtigen Weg zu sein?</div><div class="MsoNormal">Ohne jemals anzukommen?</div><div class="MsoNormal"><br />
</div><div class="MsoNormal">Gibt es nichts Bleibendes</div><div class="MsoNormal">außer der Veränderung?</div><div class="MsoNormal"><br />
</div><div class="MsoNormal">Was will ich mir am Ende</div><div class="MsoNormal">meines Weges sagen?</div><div class="MsoNormal"><br />
</div><div class="MsoNormal">Ich war auf der Suche</div><div class="MsoNormal">nach mir</div><div class="MsoNormal">und nach Dir</div><div class="MsoNormal">und manchmal</div><div class="MsoNormal">waren wir uns sehr nah.</div><!--EndFragment-->Eva Tannerhttp://www.blogger.com/profile/12597055182294516245noreply@blogger.com1tag:blogger.com,1999:blog-2558588348444159288.post-76284420491090127032010-09-14T14:16:00.000-07:002010-11-23T02:28:03.062-08:00Watson and Holmes<div class="separator" style="clear: both; text-align: center;"><a href="https://blogger.googleusercontent.com/img/b/R29vZ2xl/AVvXsEgM3qoqBWFmEDWK-41NWHXwGP-ndr4fchWGXJMeZ6wxmDm4WRBzEsdlofK_kO2uMAporivJfexzZcpHZaeNnQ_HvLtstSspMl-zCP4LHOT8VVixn_n_IW2zjRLTdnZAG1CETT2rlFW5dtQ/s1600/W+u+H+Deckblatt+Foto.001.jpg" imageanchor="1" style="margin-left: 1em; margin-right: 1em;"><img border="0" height="180" src="https://blogger.googleusercontent.com/img/b/R29vZ2xl/AVvXsEgM3qoqBWFmEDWK-41NWHXwGP-ndr4fchWGXJMeZ6wxmDm4WRBzEsdlofK_kO2uMAporivJfexzZcpHZaeNnQ_HvLtstSspMl-zCP4LHOT8VVixn_n_IW2zjRLTdnZAG1CETT2rlFW5dtQ/s320/W+u+H+Deckblatt+Foto.001.jpg" width="320" /></a></div><br />
<div class="MsoNormal"><i>Dies ist eine Twitter-Fortsetzungsgeschichte. Sie wurde im August 2010 bei Twitter veröffentlicht. Jeder Tweet hatte 140 Zeichen und wurde hier nur unwesentlich verändert.</i><o:p></o:p></div><div class="MsoNormal"><br />
</div><div class="MsoNormal"><br />
</div><div class="MsoNormal">Ein kalter Nachtwind pfiff durch die Baker Street in London. Watson stand auf der Straße: Er hatte Mist gebaut und Holmes ihn entlassen.<o:p></o:p></div><div class="MsoNormal"><br />
</div><div class="MsoNormal">Ach, hätte er nur seinen Mund gehalten! Nun war er ohne Arbeit, aber er war froh, dass er sein warmes Latexhöschen trug.<o:p></o:p></div><div class="MsoNormal"><br />
</div><div class="MsoNormal">Nach viel Zähneklappern und Zittern geschah das Wunder: Holmes öffnete die Tür, und Watson fiel beglückt auf die Knie. Er wurde wieder gebraucht! <o:p></o:p></div><div class="MsoNormal"><br />
</div><div class="MsoNormal">Holmes klopfte seine dicke Pfeife an Watsons Kopf aus. „Der Aschenbecher ist voll, Watson. Wollen wir jetzt den Pudel der Lady Throttlemore suchen?“<o:p></o:p></div><div class="MsoNormal"><br />
</div><div class="MsoNormal">Aber zuerst das Frühstück, dann die Arbeit. Holmes im karierten Morgenrock. Die Strapse darunter blitzten auf. „More eggs, Watson?“<o:p></o:p></div><div class="MsoNormal"><br />
</div><div class="MsoNormal">Poached eggs, fried eggs, scrambled eggs, boiled eggs und kein Ende abzusehen bei der Qual der Wahl.<o:p></o:p></div><div class="MsoNormal"><br />
</div><div class="MsoNormal">Sie fanden Lady Throttlemores Pudel in deren Waschmaschine. Watson schluchzte. Aber Holmes meinte kühl: <o:p></o:p></div><div class="MsoNormal"><br />
</div><div class="MsoNormal">„Ersticken Sie bloß nicht an Ihren Emotionen, Watson!“ Er klopfte seine Pfeife an Watsons Kopf aus.<o:p></o:p></div><div class="MsoNormal"><br />
</div><div class="MsoNormal">Watson ärgerte sich über Holmes. Er fand ihn kleinkariert in seinem Schottenröckchen und den Great Balls of Fire.<o:p></o:p></div><div class="MsoNormal"><br />
</div><div class="MsoNormal">Später dann High Tea: Holmes in Lackstiefelchen, Watson im Tutu. Gurkenscheibensandwiches + Earl Grey. „Finger weg von der Gurke“ drohte Holmes.<o:p></o:p></div><div class="MsoNormal"><br />
</div><div class="MsoNormal">Aufregender neuer Fall: Prudence Portsmouth, die Nichte von Lady Throttlemore, hatte ihre Unschuld verloren. Wo sollten sie suchen?<o:p></o:p></div><div class="MsoNormal"><br />
</div><div class="MsoNormal">Holmes setzte seine Deerstalker Kappe auf, Watson griff zur Lupe, und sie rasten in der Kutsche zu dem Throttlemoreschen Landsitz.<o:p></o:p></div><div class="MsoNormal"><br />
</div><div class="MsoNormal">Vor Ort untersuchten sie das edle Bett, den edlen Schreibtisch, den edlen Bürostuhl, den edlen Dielenboden + wogen bedächtig ihre Köpfe.<o:p></o:p></div><div class="MsoNormal"><br />
</div><div class="MsoNormal">„Ich kaufe ein D und möchte lösen!“ rief Holmes, als er einen bananenähnlichen Gegenstand unter der Matratze gefunden hatte.<o:p></o:p></div><div class="MsoNormal"><br />
</div><div class="MsoNormal">Prudence Portsmouth und deren Freundin Prunella Bottomworth hatten zwar die Finger von den Kerlen gelassen, nicht aber voneinander.<o:p></o:p></div><div class="MsoNormal"><br />
</div><div class="MsoNormal">Frühling in London. In der Baker Street wurden die Sash Windows geputzt, hoch + runter. Watson ging vorbei + klemmte sich ein. Er heulte auf: <o:p></o:p></div><div class="MsoNormal"><br />
</div><div class="MsoNormal">„For God’s sake, let us sit upon the ground and tell sad stories of the death of kings.“ Shakespeare, Watson?! Auf dem Klo? Geschmacklos!<o:p></o:p></div><div class="MsoNormal"><br />
</div><div class="MsoNormal">Watson ahnte den erneuten Rausschmiss. Holmes war in allem so etepetete. Vorsorglich packte er sein Toujourtäschchen.<o:p></o:p></div><div class="MsoNormal"><br />
</div><div class="MsoNormal">Es kam, wie es musste. Watson stand auf der Straße, sein hotty-botty in der Hose wärmte ihn. Neben dem oberschlauen Holmes war er ein Nichts.<o:p></o:p></div><div class="MsoNormal"><br />
</div><div class="MsoNormal">Der Nebel waberte durch die Baker Street. Watson bestieg die Kutsche, sank in die Polster. Die Räder rumpelten laut über das Pflaster. Stille.<o:p></o:p></div><div class="MsoNormal"><br />
</div><div class="MsoNormal">Wochen später: Baker Street in the middle of the night. Holmes has put his hairy legs on his desk, totally drunk and utterly lonely.<o:p></o:p></div><div class="MsoNormal"><br />
</div><div class="MsoNormal">Where the heck was Watson!? <o:p></o:p></div><div class="MsoNormal"><br />
</div><div class="MsoNormal">Bottomslow by the Sea in the middle of the night. Watson kippt sich einen Sherry hinter die Binde. Diese grottige Pension! Was tat er hier?<o:p></o:p></div><div class="MsoNormal"><br />
</div><div class="MsoNormal">Watson in der Pferdekutsche. Die Gäule fliegen über das Pflaster, Watson krallt sich an seinem Toujourtäschen fest. Seine Strumpfbänder zwicken.<o:p></o:p></div><div class="MsoNormal"><br />
</div><div class="MsoNormal">Baker Street in the early hours: Holmes sinkt auf die Knie: „Watson, endlich kann ich meine Pfeife wieder an ihrem Betonkopf ausklopfen!“<o:p></o:p></div><div class="MsoNormal"><br />
</div><div class="MsoNormal">Beide angetütert, der eine auf dem Plumeau vor dem Kamin, der andere auf der Ottomane. Ein leeres Tütchen Koks auf dem Tisch.<o:p></o:p></div><div class="MsoNormal"><br />
</div><div class="MsoNormal">Ab morgen dann wieder Crime, Sex und Völlerei: Heile Welt in der Baker Street.<o:p></o:p></div><div class="MsoNormal"><br />
</div><div class="MsoNormal">ENDE<o:p></o:p></div><div class="MsoNormal"><br />
</div><div class="MsoNormal"><br />
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</div>Eva Tannerhttp://www.blogger.com/profile/12597055182294516245noreply@blogger.com4tag:blogger.com,1999:blog-2558588348444159288.post-64557859475387976112010-09-07T19:24:00.000-07:002010-09-14T21:42:49.098-07:00Auszug aus dem Roman "Taube in der Tanne"<div class="Section1"><div class="separator" style="clear: both; text-align: center;"><br />
</div><div class="separator" style="clear: both; text-align: center;"><a href="https://blogger.googleusercontent.com/img/b/R29vZ2xl/AVvXsEg1AoM7FuL8gophluwr7BBEVky8zybaHD5ELVLvJcj7CM-ggU2Mfcbl5uIUhe60d_GM_MtZn6mkQkfRqHoitAntG5jzJW_Ec3nWMEytuS9uoq-lmDTm_-LHQZvvB_LQxCmKJZI-xUxTaSM/s1600/Unbenannt-12.jpg" imageanchor="1" style="clear: left; float: left; margin-bottom: 1em; margin-right: 1em;"><img border="0" height="320" src="https://blogger.googleusercontent.com/img/b/R29vZ2xl/AVvXsEg1AoM7FuL8gophluwr7BBEVky8zybaHD5ELVLvJcj7CM-ggU2Mfcbl5uIUhe60d_GM_MtZn6mkQkfRqHoitAntG5jzJW_Ec3nWMEytuS9uoq-lmDTm_-LHQZvvB_LQxCmKJZI-xUxTaSM/s320/Unbenannt-12.jpg" width="218" /></a></div><div class="MsoNormal" style="line-height: normal; margin-left: 70.8pt; text-indent: 35.4pt;"><span style="font-family: 'Trebuchet MS';"><b>DER BREITE UND DER SCHMALE WEG<o:p></o:p></b></span></div><div class="MsoNormal" style="line-height: normal;"><span class="Apple-style-span" style="font-family: 'Trebuchet MS';">Durch die geschlossenen Klappläden dringt das Quietschen eines Handleiter</span><span class="Apple-style-span" style="font-family: 'Trebuchet MS';">wagens, entfernt sich langsam vom Haus. Das Kind hält die Augen </span><span class="Apple-style-span" style="font-family: 'Trebuchet MS';">geschlossen, wühlt sich tiefer ins Kissen. Weiß, wie Mutter jetzt den </span><span class="Apple-style-span" style="font-family: 'Trebuchet MS';">Wagen hinter sich herzieht, auf dem Weg zum Bahnhof, durch die </span><span style="font-family: 'Trebuchet MS';">Siedlung, über den schwarzen Schotterweg, und sie die S-Bahn dann nach Berlin trägt. Für eine ganze Woche. </span><span class="Apple-style-span" style="font-family: 'Trebuchet MS';">Es steht auf, zieht die Schublade mit Mutters Wäsche raus, drückt ihr</span><span class="Apple-style-span" style="font-family: 'Trebuchet MS';">Gesicht in die weichen Pullover - rot und gelb. Sie duften nach ihrer </span><span class="Apple-style-span" style="font-family: 'Trebuchet MS';">Mutter. Ihre schöne Mama - mit rabenschwarzen Locken, klein und zierlich und in weiten, schwingenden Röcken!</span></div></div><div class="Section2"><div class="MsoNormal" style="line-height: normal;"><span class="Apple-style-span" style="font-family: 'Trebuchet MS';">"Püppi!" ruft Oma, "komm frühstücken!" Das Frühstück schmeckt nicht. </span><span class="Apple-style-span" style="font-family: 'Trebuchet MS';">Es gibt Mehlsuppe mit Zucker. Der Zucker reicht nur für Püppi und den </span><span class="Apple-style-span" style="font-family: 'Trebuchet MS';">großen Bruder Hänschen. Oma isst die Suppe ohne Zucker.</span></div><div class="MsoNormal" style="line-height: normal;"><span class="Apple-style-span" style="font-family: 'Trebuchet MS';"></span><span class="Apple-style-span" style="font-family: 'Trebuchet MS';">"Iß ordentlich, damit du nächstes Jahr zur Schule gehen kannst!" </span></div><div class="MsoNormal" style="line-height: normal;"><span style="font-family: 'Trebuchet MS';">Das Essen schmeckt überhaupt nie. Immer sind Mehlklumpen im Spinat, der Rosenkohl in Mehlschwitze und dann die ewige Mehlsuppe. <o:p></o:p></span></div><div class="MsoNormal" style="line-height: normal;"><span style="font-family: 'Trebuchet MS';">"Wenn wir das Mehl nicht hätten, wären wir im Krieg verhungert" erklärt Oma und schiebt den Teller vor Püppis Nase. Püppis großer Traum ist die Schule. Ein ganzes Jahr noch, und die Zeit vergeht so langsam. Mamas Schultertasche hat lange Riemen. Püppi wickelt sie sich um die Schultern - wie ein richtiger Tornister sieht es aus. <i>‚Alle werden glauben,</i></span><span style="font-family: 'Trebuchet MS';"> <i>dass ich zur Schule gehe’</i></span><span style="font-family: 'Trebuchet MS';"> denkt sie und marschiert singend die Straße runter zu Marlies. "Schia, schia, schia scho! Schrippen jibt’t im HO!" <o:p></o:p></span></div><div class="MsoNormal" style="line-height: normal;"><span style="font-family: 'Trebuchet MS';">"Meine Oma pellt Knochen" hat Marlies Püppi neulich erklärt und diese so Übles über Marlies Eßgewohnheiten vermuten lassen. Pelle von Knochen konnte auch nicht besser sein als Mehlsuppe.<o:p></o:p></span></div><div class="MsoNormal" style="line-height: normal;"><span class="Apple-style-span" style="font-family: 'Trebuchet MS';">Marlies schwingt auf dem Gartentor hin und her. "Wollen wir spielen?" ruft sie. Püppi folgt ihr in den Garten. "Wir spielen Friseur" schlägt Marlies vor. "Ich schneide dir die Haare ab und du jibst mir’n Groschen dafür." </span></div><div class="MsoNormal" style="line-height: normal;"><span style="font-family: 'Trebuchet MS';">Püppi betrachtet ihre langen, blonden Haare sorgfältig. "Nee, lieber nicht."<o:p></o:p></span></div><div class="MsoNormal" style="line-height: normal;"><span style="font-family: 'Trebuchet MS';">"Du hast doch nur dünne Ziepen. Mutti sagt, man muss oft schneiden, und dann werden sie dicker." Püppi ist immer noch nicht überzeugt. Hinter ihnen, im Treppenhaus, schlägt eine Tür zu und Getrappel nähert sich schnell. <o:p></o:p></span></div><div class="MsoNormal" style="line-height: normal;"><span style="font-family: 'Trebuchet MS';">"Das ist bestimmt die Hanna" sagt Marlies. " Ihre Mutter ist eine Schlampe".<o:p></o:p></span></div><div class="MsoNormal" style="line-height: normal;"><span style="font-family: 'Trebuchet MS';">"Was ist eine Schlampe?" fragt Püppi. <o:p></o:p></span></div><div class="MsoNormal" style="line-height: normal;"><span style="font-family: 'Trebuchet MS';">"Na, wenn man mit Russen schläft is’ man ne Schlampe!" <o:p></o:p></span></div><div class="MsoNormal" style="line-height: normal;"><span style="font-family: 'Trebuchet MS';">"Meine Mama schläft mit mir, aber nicht mit Russen" erläutert Püppi die häusliche Lage. <o:p></o:p></span></div><div class="MsoNormal" style="line-height: normal;"><span style="font-family: 'Trebuchet MS';">Hanna kommt zu ihnen rüber. Sie hat ein verheultes Gesicht und wischt </span><span class="Apple-style-span" style="font-family: 'Trebuchet MS';">sich mit der Hand unter der Nase lang.</span></div><div class="MsoNormal" style="line-height: normal;"><span style="font-family: 'Trebuchet MS';">„Na, hat’se dich wieder verdroschen?" fragt Marlies hämisch. Hanna kann nur schlucken und schniefen. Marlies greift nach ihren Zöpfen. <o:p></o:p></span></div><div class="MsoNormal" style="line-height: normal;"><span style="font-family: 'Trebuchet MS';">"Wir spielen Friseur und du jibst mir ’n Groschen, wenn ich dir die Haare schneide".<o:p></o:p></span></div><div class="MsoNormal" style="line-height: normal;"><span style="font-family: 'Trebuchet MS';">Und schwups zieht sie eine Schere aus ihrer Kittelschürze und säbelt an Hannas Zöpfen rum. Aus dem Schniefen wird Gebrüll. Hanna und Marlies liegen kreischend auf dem Boden. Hanna mit nur noch anderthalb Zöpfen, der eine ausgefranst wie ein kaputtes Elektrokabel. "Meinen Groschen her!" brüllt Marlies der wieder ins Haus flüchtenden Hanna hinterher. <o:p></o:p></span></div><div class="MsoNormal" style="line-height: normal;"><span style="font-family: 'Trebuchet MS';">"Jetzt wird die wieder verdroschen. Aber det ist die ja jewohnt!" Sie klopft sich den Sand vom Kleid und lauscht angestrengt zum Treppenhaus hin. Hanna schlägt in der oberen Etage die Tür zu, und es dauert keine zwei Minuten, bis man ihre Mutter kreischen hört.<o:p></o:p></span></div><div class="MsoNormal" style="line-height: normal;"><span style="font-family: 'Trebuchet MS';">"Sie ist eine Schlampe" beendet Marlies das Friseurspiel.<o:p></o:p></span></div><div class="MsoNormal" style="line-height: normal;"><span style="font-family: 'Trebuchet MS';"> <o:p></o:p></span></div><div class="MsoNormal" style="line-height: normal;"><span style="font-family: 'Trebuchet MS';"> <o:p></o:p></span></div></div><span style="font-family: 'Trebuchet MS'; font-size: 12pt;"><br />
</span>Eva Tannerhttp://www.blogger.com/profile/12597055182294516245noreply@blogger.com0tag:blogger.com,1999:blog-2558588348444159288.post-90876206805353547062010-09-05T14:54:00.000-07:002010-09-05T14:56:42.974-07:00Das Jahr<!--StartFragment--> <p class="MsoNormal" style="line-height:150%;tab-stops:1.0cm 2.0cm 3.0cm 4.0cm 5.0cm 6.0cm 7.0cm 226.75pt 255.1pt 283.45pt 311.8pt 340.15pt 368.5pt 396.85pt"><span style="font-family:"Century Gothic""><b>JANUAR.</b></span><span style="font-family:"Century Gothic""> Der erste warme Winternachmittag.<span style="mso-spacerun: yes"> </span>Die Sonne streichelt mir das Gesicht,<span style="mso-spacerun: yes"> </span>das Fensterblech scheint sich nach langem Winterschlaf zu dehnen und zu recken.<span style="mso-spacerun: yes"> </span>Der Schnee ist schon brüchig.<span style="mso-spacerun: yes"> </span>Gleich musst du kommen.<span style="mso-spacerun: yes"> </span>Es soll unser letzter Tag sein. Ein Jahr lang sind wir umeinander herum gegangen, tanzen gewesen, Schlittschuh gelaufen, aber nie allein.<span style="mso-spacerun: yes"> </span>Ich hatte dich als Protz eingeschätzt, stets laut und oft betrunken.<span style="mso-spacerun:yes"> </span>Dein Berliner Wedding-Akzent war dir so viel wert wie der erste Teller eines reich gewordenen Tellerwäschers.<span style="mso-spacerun:yes"> </span>Wenn du Blumen kauftest, mussten es Rosen sein, und dein Auto war natürlich ein Mercedes. Das alles lag mir nicht.<span style="mso-spacerun: yes"> </span>Und dann kam die Nacht, als wir bei Freunden übernachteten.<span style="mso-spacerun: yes"> </span>Ich wachte früh um fünf Uhr auf und sah dich vor meinem Bett<span style="mso-spacerun:yes"> </span>nur im Unterhemd sitzen.<span style="mso-spacerun:yes"> </span>- Der Kerl muss betrunken sein - schoss es mir durch den Kopf.<span style="mso-spacerun: yes"> </span>"Willst du eine Alka-Setzer?" fragte ich zögernd.<span style="mso-spacerun: yes"> </span>Lieber Gott, er wollte ganz andere Dinge.<span style="mso-spacerun: yes"> </span>Zum Beispiel die Punkte auf meinem Nachthemd zählen.<span style="mso-spacerun:yes"> </span>Damals wollte ich nicht.<span style="mso-spacerun:yes"> </span>Doch das hielt nicht lange an.<span style="mso-spacerun:yes"> </span>Ich hatte bald Schmetterlinge im Bauch, wenn ich nur an dich dachte.<span style="mso-spacerun: yes"> </span>Aber ich war nicht die einzige Frau für dich.<span style="mso-spacerun: yes"> </span>Du konntest dich nicht zwischen den anderen und mir entscheiden;<span style="mso-spacerun:yes"> </span>und ich will jetzt vernünftig sein und mich von dir trennen. Du siehst müde aus, bist traurig und bedrückt.<span style="mso-spacerun:yes"> </span>Ziellos fahren wir umher. Meine Hand rutscht suchend zu dir herüber.<span style="mso-spacerun: yes"> </span>Ich schiebe sie dir unter deinen Oberschenkel.<span style="mso-spacerun: yes"> </span>Das Tiergarten Café.<span style="mso-spacerun: yes"> </span>Draußen ist der See noch zugefroren.<span style="mso-spacerun: yes"> </span>- Und nie bin ich mit dir dort spazieren gegangen. - Wir trinken schweigend unseren Kaffee.<span style="mso-spacerun: yes"> </span>Warum soll es schon zu Ende sein, bevor es richtig begonnen hat?<span style="mso-spacerun: yes"> </span>Wir fahren weiter.<span style="mso-spacerun: yes"> </span>Die Groninger Straße.<span style="mso-spacerun: yes"> </span>Weddinger Hinterhöfe.<span style="mso-spacerun: yes"> </span>- War es hier, wo du als Kind und dort, über dem Hof? - Bei Karl rasierst du dich.<span style="mso-spacerun: yes"> </span>Ich warte im Wohnzimmer am Ofen.<span style="mso-spacerun: yes"> </span>Ich warte gerne; eine zärtliche Ruhe erfüllt uns. Nun liegt mein Kopf auf deinem Schoß, und die Bäume des Tegeler Waldes fliegen über mir hinweg.<span style="mso-spacerun: yes"> </span>Dort hinten, am Ende der Allee, wo der runde Parkplatz ist, halten wir an.<span style="mso-spacerun: yes"> </span>Die Nachmittagsstunden verticken.<span style="mso-spacerun: yes"> </span>Kindheitserinnerungen, Sehnsüchte und Zukunftsträume. Wir werden uns nicht trennen.<span style="mso-spacerun:yes"> </span>Wir bleiben zusammen!<span style="mso-spacerun: yes"> </span>Wir werden zusammenziehen, heiraten, gemeinsam alt werden.<span style="mso-spacerun: yes"> </span>Nur dies soll unsere Tage bestimmen. <o:p></o:p></span></p> <p class="MsoNormal" style="line-height:150%;tab-stops:1.0cm 2.0cm 3.0cm 4.0cm 5.0cm 6.0cm 7.0cm 226.75pt 255.1pt 283.45pt 311.8pt 340.15pt 368.5pt 396.85pt"><span style="font-family:"Century Gothic""><b> <o:p></o:p></b></span></p> <p class="MsoNormal" style="line-height:150%;tab-stops:1.0cm 2.0cm 3.0cm 4.0cm 5.0cm 6.0cm 7.0cm 226.75pt 255.1pt 283.45pt 311.8pt 340.15pt 368.5pt 396.85pt"><span style="font-family:"Century Gothic""><b>APRIL. </b></span><span style="font-family:"Century Gothic"">Der Frühling ist da, und mit ihm kommen Duisburg und Düsseldorf. "Du hast noch nie den Rhein gesehen? Komm, ich zeig’ ihn dir!" Wir hüpfen wie die Frösche über Pfützen zum Ufer, lehnen uns weit über die Mauer. Vor uns in der Nacht dunkles, vom Regen aufgewühltes Wasser.<span style="mso-spacerun: yes"> </span>Du nimmst mich in deine Arme - wirbelst mich herum. Nun laufen wir tropfnass durch die Strassen.<span style="mso-spacerun: yes"> </span>Der Regen schlägt uns ins Gesicht. Zurück in Berlin beginnt wieder der Alltag für uns. Wenn ich nicht zur Schule muss, nimmst du mich mit auf deinen Fahrten zu Kunden, ich besuche dich in der Werkstatt. Von der Esse her faucht mich die Wärme an. Der Geruch von Holz, Öl und Farbe bleibt stets in deinen Haaren zurück. Tag für Tag führt mich der Weg zu dir, beladen mit Thermosflasche, Obst und Schnitten.<span style="mso-spacerun: yes"> </span><o:p></o:p></span></p> <p class="MsoNormal" style="line-height:150%;tab-stops:1.0cm 2.0cm 3.0cm 4.0cm 5.0cm 6.0cm 7.0cm 226.75pt 255.1pt 283.45pt 311.8pt 340.15pt 368.5pt 396.85pt"><span style="font-family:"Century Gothic""><b> <o:p></o:p></b></span></p> <p class="MsoNormal" style="line-height:150%;tab-stops:1.0cm 2.0cm 3.0cm 4.0cm 5.0cm 6.0cm 7.0cm 226.75pt 255.1pt 283.45pt 311.8pt 340.15pt 368.5pt 396.85pt"><span style="font-family:"Century Gothic""><b>JUNI.</b></span><span style="font-family:"Century Gothic""> Ein langer, heißer Sommer voller Erdbeeren und verschlafenen Nächten und Tagen im Glienicker Wochenendhäuschen meiner Eltern. Erst gestern war’s, als meine Haut noch von der Sonne zu glühen schien und ich mir den Glienicker See aus den Haaren schüttelte. Heute rauscht der warme Sommerregen gleichmäßig, und ab und zu fällt ein besonders großer Tropfen auf mein Fensterbrett. Beim Anziehen bemerke ich den Geruch meines Pullovers. Ein bisschen feucht vom Regen. Er riecht nach Schlaf und<span style="mso-spacerun:yes"> </span>Glienicke.<span style="mso-spacerun: yes"> </span>Ich kann fast deinen warmen Körper spüren. Oder deine Hand die so schwer auf mir lag, als du schliefst. <o:p></o:p></span></p> <p class="MsoNormal" style="line-height:150%;tab-stops:1.0cm 2.0cm 3.0cm 4.0cm 5.0cm 6.0cm 7.0cm 226.75pt 255.1pt 283.45pt 311.8pt 340.15pt 368.5pt 396.85pt"><span style="font-family:"Century Gothic""><b> <o:p></o:p></b></span></p> <p class="MsoNormal" style="line-height:150%;tab-stops:1.0cm 2.0cm 3.0cm 4.0cm 5.0cm 6.0cm 7.0cm 226.75pt 255.1pt 283.45pt 311.8pt 340.15pt 368.5pt 396.85pt"><span style="font-family:"Century Gothic""><b> <o:p></o:p></b></span></p> <p class="MsoNormal" style="line-height:150%;tab-stops:1.0cm 2.0cm 3.0cm 4.0cm 5.0cm 6.0cm 7.0cm 226.75pt 255.1pt 283.45pt 311.8pt 340.15pt 368.5pt 396.85pt"><span style="font-family:"Century Gothic""><b>JULI.</b></span><span style="font-family:"Century Gothic""> Ich habe meine Prüfung an der Industrie- und Handelskammer </span><span class="Apple-style-span" style="font-family: 'Century Gothic'; ">bestanden und auch meine erste Stelle als Übersetzerin gefunden.<span style="mso-spacerun: yes"> </span>Wir wohnen jetzt zusammen. Wie ein Kreisel drehe ich mich jeden Tag um dich. Früh um halb sieben klingelt der Wecker, und ich rolle schlaftrunken aus dem Bett, mache dir Kaffee und Frühstück, kaufe dir Zeitungen, und ganz gleich, wie ich mich beeile, ich verpasse doch immer den Bus. Ich bin Hausfrau und berufstätig. Der Stolz wiegt alle Mühen auf. Keine Wartezeit an der Haltestelle und keine Busfahrt ist mir zu lang: Meine Gedanken drehen sich um dich.<span style="mso-spacerun: yes"> </span>Im Büro schreibe ich in jeder freien Minute endlose Einkaufslisten für die Wohnung und Geschenklisten für alle Feiertage des Jahres und durchlebe im Voraus unsere ganze Zukunft. Um zehn Uhr herum wecke ich dich telefonisch. Und zähle jede Minute bis zum Büroschluss.<span style="mso-spacerun: yes"> </span>Jede Überstunde treibt mich zur Verzweiflung.<span style="mso-spacerun: yes"> </span>- Nun kann ich nicht mehr einkaufen gehen! - Und ich wollte doch ..... Ich will so viel.<span style="mso-spacerun: yes"> </span>Kochen, Waschen, Geschäftsbriefe schreiben und deine Liebe. Abends gehen wir öfter zu "Paukchens Pavillon ". Gestern war mir auf dem Nachhauseweg übel, und du hast deine Hand auf meinen Magen gelegt und nur mit einer Hand gelenkt.<span style="mso-spacerun:yes"> </span>Automatisch hast du das getan, was ich immer tue, wenn dir nicht wohl ist: Ich streichel<span style="mso-spacerun: yes"> </span>und wiege dich in meinen Armen hin und her, bis du eingeschlafen bist.<span style="mso-spacerun: yes"> </span>Schon hat die Gewöhnung aneinander sich bei uns eingenistet.<span style="mso-spacerun: yes"> </span></span></p> <p class="MsoNormal" style="line-height:150%;tab-stops:1.0cm 2.0cm 3.0cm 4.0cm 5.0cm 6.0cm 7.0cm 226.75pt 255.1pt 283.45pt 311.8pt 340.15pt 368.5pt 396.85pt"><span style="font-family:"Century Gothic""><b> <o:p></o:p></b></span></p> <p class="MsoNormal" style="line-height:150%;tab-stops:1.0cm 2.0cm 3.0cm 4.0cm 5.0cm 6.0cm 7.0cm 226.75pt 255.1pt 283.45pt 311.8pt 340.15pt 368.5pt 396.85pt"><span style="font-family:"Century Gothic""><b>AUGUST.</b></span><span style="font-family:"Century Gothic""> Die<span style="mso-spacerun: yes"> </span>Nächte sind ein warmes, dunkles Hin und Her des Schlafens und Halbwachseins. Wie auf weichen, gleitenden Wellen trägt mir mein Bewusstsein deine Gegenwart zu. Ich wage kaum zu schlafen. Ich könnte<span style="mso-spacerun: yes"> </span>es sonst nicht richtig genießen, dass du da bist. Deine<span style="mso-spacerun: yes"> </span>Wärme, deine Nähe ist das erste, was ich früh spüre, und das letzte, was ich fühle, bevor ich abends in weiches Dunkel falle. Wie nahe kann man jemandem sein? Du puffst mich hartnäckig mit deinem Knie.<span style="mso-spacerun: yes"> </span>Ich grunze verschlafen und genieße blinzelnd das helle Sonnenlicht in unserem Zimmer. Kringel auf der Gardine, auf dem Teppich und auf deinen störrischen Haaren. Du öffnest ein Auge und drückst es wieder zu. Ich ignoriere das. Schamlos zwinkerst du mich an. Das Knuffen hört nicht auf. So rupfe ich dir deine sandigen, struppigen Locken. Wir balgen uns. Dein Bein hier und meins dort. Wir kugeln, und der Fußboden hat mich wieder. Es ist Sonntag, ich brauch’ nicht ins Büro und du nicht in die Werkstatt.<o:p></o:p></span></p> <p class="MsoNormal" style="line-height:150%;tab-stops:1.0cm 2.0cm 3.0cm 4.0cm 5.0cm 6.0cm 7.0cm 226.75pt 255.1pt 283.45pt 311.8pt 340.15pt 368.5pt 396.85pt"><span style="font-family:"Century Gothic""><b> <o:p></o:p></b></span></p> <p class="MsoNormal" style="line-height:150%;tab-stops:1.0cm 2.0cm 3.0cm 4.0cm 5.0cm 6.0cm 7.0cm 226.75pt 255.1pt 283.45pt 311.8pt 340.15pt 368.5pt 396.85pt"><span style="font-family:"Century Gothic""><b>SEPTEMBER.</b></span><span style="font-family:"Century Gothic""> Früh um viertel nach sechst bist du wiedergekommen. Ich habe frischvergnügt mein Bügeleisen geschwungen und dich gefragt, ob du dich gut amüsiert hast. Mit trüben Augen und spitzbübischem Lächeln bist du in die Küche geschwankt. "Blumen, bla, Blumen jibt’s nich. Nich bei mir! Ich bin so, wie ich bin! Basta! " Mein Bügeleisen zischt gemütlich. Kein Vorwurf. Stille.<span style="mso-spacerun: yes"> </span>Liebevolles Hemden zusammenlegen meinerseits. Unzufriedenes Lachen aus der Küche. "Mecker doch. Na los!" Was habe ich vom Meckern? Beim nächsten Mal werfe ich dir einfach den nächstbesten Gegenstand an den Kopf. Und beim übernächsten Mal? Wenn du ausgeschlafen hast, dann wirst du mir wieder mit einem bezauberndem Lächeln erklären, dass ich die wunderbarste Frau auf Gottes weiter Erde sei oder dein bester Kumpel und dass ich nicht hinhören soll, wenn du betrunken bist.<o:p></o:p></span></p> <p class="MsoNormal" style="line-height:150%;tab-stops:1.0cm 2.0cm 3.0cm 4.0cm 5.0cm 6.0cm 7.0cm 226.75pt 255.1pt 283.45pt 311.8pt 340.15pt 368.5pt 396.85pt"><span style="font-family:"Century Gothic""><b> <o:p></o:p></b></span></p> <p class="MsoNormal" style="line-height:150%;tab-stops:1.0cm 2.0cm 3.0cm 4.0cm 5.0cm 6.0cm 7.0cm 226.75pt 255.1pt 283.45pt 311.8pt 340.15pt 368.5pt 396.85pt"><span style="font-family:"Century Gothic""><b>OKTOBER.</b></span><span style="font-family:"Century Gothic""> Oh, ihm ist der Kragen geplatzt!<span style="mso-spacerun: yes"> </span>Immer diese Verschwendungssucht meinerseits. Er hat mich wieder beim Taxifahren erwischt. Er fuhr mit seinem Mercedes vor, und da stieg ich gerade aus dem Taxi. Mein Drei-Zentner-Einkaufskorb fiel mir vor Schreck fast aus der Hand. "Musst du dir immer ein Taxi leisten? So viel verdienst du doch nicht?!" Resigniert schleppe ich alles nach oben. - Vielleicht sollte ich auch mehr zum Kostgeld beisteuern?<span style="mso-spacerun: yes"> </span>Auf dem Schreibtisch liegen Taxiquittungen. Sie sind aber nicht von mir. Von ihm auch nicht. Seit wann kann man Freundinnen von der Steuer absetzen? Buchführung ist mein Revier. Er ist zitierend die Treppe hinter mir hochgestiegen: "... und vom Kostgeld kaufst du dir obendrein Strumpfhosen!!" Sagt’s, zieht ein frisches Hemd an und fährt zu Klarabella Soundsoviel, um ein teures Abendmahl einzunehmen. Später bekomme ich dann die Quittung wieder für die Buchführung. Die Aktion läuft unter: "Liebling, ich habe in der Werkstatt noch etwas zu tun." Ich glucke über dem Essen wie eine Henne über schon längst flügge gewordenen Küken und kipp’s dann weg. Dieses Weib kann nicht haushalten. Aber ich hab schon gelernt dass man Champignons nicht tagelang aufwärmen kann.<o:p></o:p></span></p> <p class="MsoNormal" style="line-height:150%;tab-stops:1.0cm 2.0cm 3.0cm 4.0cm 5.0cm 6.0cm 7.0cm 226.75pt 255.1pt 283.45pt 311.8pt 340.15pt 368.5pt 396.85pt"><span style="font-family:"Century Gothic""><b> <o:p></o:p></b></span></p> <p class="MsoNormal" style="line-height:150%;tab-stops:1.0cm 2.0cm 3.0cm 4.0cm 5.0cm 6.0cm 7.0cm 226.75pt 255.1pt 283.45pt 311.8pt 340.15pt 368.5pt 396.85pt"><span style="font-family:"Century Gothic""><b>NOVEMBER.</b></span><span style="font-family:"Century Gothic""><span style="mso-spacerun: yes"> </span>Was nun?<span style="mso-spacerun: yes"> </span>Drei Uhr früh. Ich schaue mich um. Auf dem Tisch stehen Blumen, daneben liegt mein Strickzeug. Meine Küche ist sauber, zu sauber, alle Rechnungen sind geschrieben, bin ich nicht perfekt? Zu perfekt. Zuerst möchte ich mich am liebsten umbringen, wenn ich allein in der Wohnung sitze und auf ihn warte. Und dann kommt die Müdigkeit. Nichts zählt mehr. Nur die Ohrfeige brennt noch, die du mir neulich gegeben hast. Soll er, soll er doch...<span style="mso-spacerun: yes"> </span>Alles, was ich will, ist Ruhe. Ruhe vor mir selbst, vor meinen verzweifelten Versuchen, den Fehler bei mir zu finden, Ruhe vor deinen sich widersprechenden Erklärungen. Heute Liebe, morgen Untreue. Ist dies das Gesicht meiner Zukunft? Was für Regeln herrschen da zwischen Mann und Frau? Soll ich spielen: Heute mach’ ich mich rar, morgen dich eifersüchtig? Hasch‘ mich, du besitzt mich noch nicht ganz? Kann man jemanden besitzen? Und so schleicht die Müdigkeit ins Herz. Vielleicht ist es an der Zeit, dass ich lerne, wie man Liebe verbirgt, und nicht, wie man sie zeigt. Aber auch das ist ein Spiel. Wie wird man erwachsen?<span style="mso-spacerun: yes"> </span>Wann hören die Spiele auf?<span style="mso-spacerun: yes"> </span><o:p></o:p></span></p> <p class="MsoNormal" style="line-height:150%;tab-stops:1.0cm 2.0cm 3.0cm 4.0cm 5.0cm 6.0cm 7.0cm 226.75pt 255.1pt 283.45pt 311.8pt 340.15pt 368.5pt 396.85pt"><span style="font-family:"Century Gothic""><b> <o:p></o:p></b></span></p> <p class="MsoNormal" style="line-height:150%;tab-stops:1.0cm 2.0cm 3.0cm 4.0cm 5.0cm 6.0cm 7.0cm 226.75pt 255.1pt 283.45pt 311.8pt 340.15pt 368.5pt 396.85pt"><span style="font-family:"Century Gothic""><b>DEZEMBER.</b></span><span style="font-family:"Century Gothic""><span style="mso-spacerun: yes"> </span>Nebel, Nebel ... . Dick wallend am Fluss, in Fetzen in den Strassen.<span style="mso-spacerun: yes"> </span>Wie muss das sein, wenn man einen Menschen sucht, ihn nicht findet und immer weiter irrt, ohne zu begreifen, er wird nie wieder kommen? Ich jedoch habe dich immer wieder gefunden. Ein Bus kam, der sonst nie hier lang fuhr. Die Leute in ihm schienen schon zur Frühschicht zu fahren. Ich wusste nicht, in welche Richtung er fuhr, stieg blindlings wieder aus. Der Nebel schluckte mich. Und dann begann die Suche mit dem Taxi.<span style="mso-spacerun: yes"> </span>Alle bekannten Bars. Später hockte ich wieder auf meinen drei Kissen auf<span style="mso-spacerun: yes"> </span>dem Stuhl am Fenster. Vom Tegeler Flughafen her strich der Lichtschein über den Himmel, schnell und huschend wie ein Scheibenwischer. Alle paar Sekunden. Der Nebel ist fort. Schnee fällt in dicken Flocken. Die Scheinwerfer der Autos geistern durch diesen Schneevorhang. Regen dribbelt die Scheibe herunter. Frost fängt ihn auf und lässt ihn erstarren. Ich bin so müde, und werde nie wieder schlafen können. Der Morgen kommt, ich ziehe mich an.<span style="mso-spacerun: yes"> </span>Es wird Zeit für mich zu gehen. Auf der Treppe treffe ich dich.<span style="mso-spacerun: yes"> </span><o:p></o:p></span></p> <p class="MsoNormal" style="line-height:150%;tab-stops:1.0cm 2.0cm 3.0cm 4.0cm 5.0cm 6.0cm 7.0cm 226.75pt 255.1pt 283.45pt 311.8pt 340.15pt 368.5pt 396.85pt"><span style="font-family:"Century Gothic""><b> <o:p></o:p></b></span></p> <p class="MsoNormal" style="line-height:150%;tab-stops:1.0cm 2.0cm 3.0cm 4.0cm 5.0cm 6.0cm 7.0cm 226.75pt 255.1pt 283.45pt 311.8pt 340.15pt 368.5pt 396.85pt"><span style="font-family:"Century Gothic""><b>JANUAR.</b></span><span style="font-family:"Century Gothic""> Amerika liegt vor uns.<span style="mso-spacerun: yes"> </span>Dort willst du mich heiraten, mit mir durch dick und dünn gehen, mich auf Händen tragen und mich nie wieder betrügen. Ein ganz neues Leben soll beginnen. Ich habe schon mein Visum beantragt. Du fährst vor, um eine Wohnung zu besorgen und um Arbeit zu finden. Weißt du auch, dass ich mein Visum rückgängig machen werde, wenn ich zurück in Berlin bin? Bis zum Schiff in Genua werde ich dich noch begleiten, und nicht weiter. Es wird dir nicht lange wehtun,<span style="mso-spacerun: yes"> </span>mein Grauer. Ein bisschen verletzter Stolz, ein bisschen Sehnsucht nach meiner Liebe und meiner Hände Arbeit für dich. Wie lange wird es<span style="mso-spacerun:yes"> </span>mir wehtun?<span style="mso-spacerun: yes"> </span>Ein Jahr lang habe ich dir alles gegeben, was ich hatte. Du wirst ein paar Telegramme schicken, anrufen und die berühmten roten Rosen schicken. Das werden wir überwinden. Auch noch eine Woche lang die kleine, weiße Lüge unserer gemeinsamen Zukunft, die hier in Genua beginnen soll. Und dann kommen die ersten entspannten Tage. Es ist schön, ganz allein mit sich ins reine zu kommen. Nicht darüber zu reden. Der Schmerz wird später kommen. Wir gehen täglich zum Meer runter, wandern<span style="mso-spacerun: yes"> </span>über den knirschenden Strand. Ich suche nach bunten Strandsteinen und Scherben, die dann meine Anoraktaschen gewaltig ausbeulen. Wir steigen über Felsen und sonnen uns erschöpft von einem langen Winter. Nachmittags beobachten wir die Fischer und sitzen stundenlang in dem runden Strandcafé in Arenzano, das fast leer ist, wo der Caffelatte immer etwas bitter schmeckt. Du willst dir einen Schnurrbart wachsen lassen, und ein ständiger Schatten liegt jetzt auf deiner Oberlippe. Er wird rot werden, glaube ich,<span style="mso-spacerun:yes"> </span>oder doch wenigsten rot-braun und nicht aschblond, wie dein Kopfhaar. Auf unseren Spaziergängen streifen meine Augen Häuser und Gärten,<span style="mso-spacerun: yes"> </span>geführt von dem alten Wunschtraum, da mit dir zu leben.<span style="mso-spacerun: yes"> </span>Doch wenn ich die Augen schließe, sehe ich mich nur allein in allen Räumen. Ich habe einen Zweig abgebrochen, der in unserem Zimmer einen Zitronenduft verbreitet, besonders, wenn man den Stiel ins Wasser legt. Dies ist das einzige Mittel, den starken Ölgeruch zu schlagen, der aus der Küche kommt. Ich nehme alles in mir auf, den Zitronenduft, den Geruch deines Tabaks. Und bin gar nicht mehr da. So tut es nicht weh, als es aus ist mit den Spaghetti, dem billigen Rotwein, den jämmerlichen Katzen unter deinem Auto vor der Pension und deinen Pfeifenstunden. Warten, Zeittotschlagen und Gepäckabfertigung. Ich kann nicht mit aufs Schiff kommen. <o:p></o:p></span></p> <p class="MsoNormal" style="line-height:150%;tab-stops:1.0cm 2.0cm 3.0cm 4.0cm 5.0cm 6.0cm 7.0cm 226.75pt 255.1pt 283.45pt 311.8pt 340.15pt 368.5pt 396.85pt"><span style="font-family:"Century Gothic""> <o:p></o:p></span></p> <p class="MsoNormal" style="line-height:150%;tab-stops:1.0cm 2.0cm 3.0cm 4.0cm 5.0cm 6.0cm 7.0cm 226.75pt 255.1pt 283.45pt 311.8pt 340.15pt 368.5pt 396.85pt"><span style="font-family:"Century Gothic"">Ist dies das Letzte, das ich von dir in Erinnerung haben werde? Der Strippenregen, das hastige Verstauen im Taxi auf dem Ponte dei Mille und ein verzweifeltes An-Dich-Ziehen "See you in New York" und der seltsame Ausdruck in deinem Gesicht.<span style="mso-spacerun: yes"> </span>Wusstest du, dass es für mich kein New York geben würde? Mich hat der Zug dann fortgetragen. Mit klemmenden Fenstern, aus denen ich mich weit rauslehnte, um den Wind zu schlucken und um keinen Kontakt mit anderen Reisenden aufnehmen zu müssen. Immer weiter in den Norden, weiter weg von dir und immer näher zu mir. Rauchst du noch Pfeife?<span style="mso-spacerun: yes"> </span>Wie ist New York?<span style="mso-spacerun: yes"> </span>Aber will ich das wirklich wissen?<o:p></o:p></span></p> <!--EndFragment-->Eva Tannerhttp://www.blogger.com/profile/12597055182294516245noreply@blogger.com0tag:blogger.com,1999:blog-2558588348444159288.post-67329427328361859792010-09-05T06:40:00.000-07:002010-09-05T06:45:02.044-07:00Von meiner Warte<!--StartFragment--> <p class="MsoNormal">Ich schaue ihr schon den ganzen Abend zu.<span style="mso-spacerun: yes"> </span>Ihr Gang ist schwer, sie hat ihre Leichtigkeit verloren, kommt nicht mehr zur Ruhe,<span style="mso-spacerun:yes"> </span>räumt ständig in den Schränken herum.<span style="mso-spacerun: yes"> </span>Ach, wie ich das kenne!<span style="mso-spacerun: yes"> </span>Bei allen Familien habe ich die Frauen immer am meisten geliebt.<span style="mso-spacerun: yes"> </span>Sie brauchten mich, sie liebkosten mich, eine hat allerdings auch ihre Malfarben über mir ausgekippt, aber ich habe ihr verziehen – ihre Aquarelle waren wunderbar, nass in nass zerfloss alles, die Farben faserten sich wie Blumenkohlröschen ins Papier, und alles fand direkt auf mir statt!<span style="mso-spacerun: yes"> </span>Aber wenn dann diese Unruhe aufkam und sie nachts mit offenen Augen nur einen Schritt von mir entfernt in ihrem Bett lagen, wusste ich schon, dass sie mich verlassen würden.<span style="mso-spacerun: yes"> </span></p> <p class="MsoNormal">Jetzt kommt sie endlich zu mir, sinkt auf den Stuhl, schmiegt sich an meine Wölbungen, ihrer Hände gleiten über meine Rundungen, streichen über meine glatte Oberfläche.<span style="mso-spacerun: yes"> </span>Sie legt ihren Kopf auf mich und weint.<span style="mso-spacerun: yes"> </span>Ich atme den Duft ihrer Haare ein und sie meinen seit fast hundert Jahren immer noch zarten Holzduft.<span style="mso-spacerun: yes"> </span>Jetzt<span style="mso-spacerun:yes"> </span>zieht sie meine mittlere Schublade auf.<span style="mso-spacerun: yes"> </span>Nimmt<span style="mso-spacerun:yes"> </span>ihr Tagebuch heraus und schreibt!<span style="mso-spacerun:yes"> </span>Leise schabt der Füllfederhalter übers Papier.<span style="mso-spacerun: yes"> </span>Ich bin erleichtert, denn ich weiß, dass sie nun zur Ruhe kommen wird.</p> <!--EndFragment-->Eva Tannerhttp://www.blogger.com/profile/12597055182294516245noreply@blogger.com0tag:blogger.com,1999:blog-2558588348444159288.post-20159353620280047462010-09-02T04:12:00.000-07:002011-04-03T03:45:00.202-07:00<span class="Apple-style-span" style="line-height: 24px;"><a href="https://blogger.googleusercontent.com/img/b/R29vZ2xl/AVvXsEi89g-Do4aU4fpQOKjNLuQA07QdmnfE8WNjhE5FQlatmmHXfDe4IuafqnZxtNHhILGzRhul75Ym9AykfCpPeBBkBmFSkDYioQ63X3O9818ifh8Z98IM7lVvuiqs-DI_OsCrcB6-zoz-M8A/s1600/Die+weisse+Katze.png" imageanchor="1" style="clear: left; display: inline !important; margin-bottom: 1em; margin-right: 1em;"><img border="0" height="300" src="https://blogger.googleusercontent.com/img/b/R29vZ2xl/AVvXsEi89g-Do4aU4fpQOKjNLuQA07QdmnfE8WNjhE5FQlatmmHXfDe4IuafqnZxtNHhILGzRhul75Ym9AykfCpPeBBkBmFSkDYioQ63X3O9818ifh8Z98IM7lVvuiqs-DI_OsCrcB6-zoz-M8A/s400/Die+weisse+Katze.png" width="400" /></a></span><span class="Apple-style-span" style="font-family: Chalkboard; line-height: 24px;">Es war einmal ein Riese, der lebte in den warmen Monaten des Jahres mit drei Katzen in einem Haus. Es gab den Frühjahrskater, den Sommerkater und die Herbstkatze. Nur für den Winter hatte er niemanden. Und wenn im Herbst die Nebel fielen und er anfing mit der Katze zu hadern, weil er wusste, dass nach ihr nur noch der einsame Winter kam, hoffte er stets, dass doch noch ein Tier in seinem Garten erschien, das ihm anbot, den Winter mit ihm zu verbringen.</span><div class="MsoNormal" style="line-height: 150%;"><span class="Apple-style-span" style="font-family: Chalkboard;"><span class="Apple-style-span" style="font-size: small;">Aber Jahr für Jahr geschah nichts dergleichen. Seine vierbeinigen Pelzer verschwanden unwiderbringlich Ende November im Keller und tauchten erst Ende März, einer nach dem anderen, wieder auf.</span></span></div><div class="MsoNormal" style="line-height: 150%;"><span class="Apple-style-span" style="font-family: Chalkboard;"><span class="Apple-style-span" style="font-size: small;">Der Keller hatte unübersichtlich viele Kammern und Holzverschläge. Der Riese hatte schon vor Jahren vergessen, was dort alles gelagert war, und obwohl er sich stets vornahm den Keller aufzuräumen, gelang es ihm nie. So sah es um die Treppe herum noch recht manierlich aus, aber je weiter es in die Tiefe ging, umso dunkler, staubiger und vergessener wurde es. Hinzu kam, dass jedes Jahr immer neue Dinge in den Keller wanderten. Alte Möbel und Kisten und Kartons, seine Erinnerungen und seine langgehegten Wünsche und Träume, an die er nicht mehr denken wollte, weil es ihm eine Last war. Auch für den Schmerz gab es riesige Holzverschläge, ganz hinten, noch hinter dem Kohlenkeller, wo er sich die Hände würde schmutzig machen, wollte er dort aufräumen.</span></span></div><div class="MsoNormal" style="line-height: 150%;"><span class="Apple-style-span" style="font-family: Chalkboard;"><span class="Apple-style-span" style="font-size: small;">In diesen Keller verschwanden die Katzen für lange Monate. Und da er nie den Mut hatte, ihnen zu folgen, wusste er auch nicht, was sie dort taten. Schliefen sie? Eine Art Winterschlaf für Hauskatzen? Doch dann hörte er in den langen einsamen Winternächten ein fernes Rumpeln aus dem Keller und wusste, dass sie nicht schliefen. Da zog er sich furchtsam die Decke über den Kopf, denn er wollte nicht wissen, was da unten los war, denn er war zwar groß aber leider nicht mutig.</span></span></div><div class="MsoNormal" style="line-height: 150%;"><span class="Apple-style-span" style="font-family: Chalkboard;"><span class="Apple-style-span" style="font-size: small;">Draußen zog der Winter in seinen Garten, biss in die Zwiebelknollen der Tulpen, wenn der Riese vergessen hatte sie warm mit Tanne zuzudecken, legte sich mit glitzernder Schönheit auf die Bäume und hauchte Frostblumen an die kleinen Kastenfenster des Hauses. Wenn der Riese klug im Herbst Holz gesammelt hatte konnte er sich am Kaminfeuer wärmen und die Öfen befeuern.</span></span></div><div class="MsoNormal" style="line-height: 150%;"><span class="Apple-style-span" style="font-family: Chalkboard;"><span class="Apple-style-span" style="font-size: small;">Aber der Winter war nicht immer kalt, trocken und leuchtend weiß, sondern oft war er nur grau und feucht. Er drückte den Rauch in den Kamin und zog dem Riesen schmerzhaft in die Knie und die Schultern, so dass er sich nicht bewegen konnte. Und ließ ihn nachts nicht schlafen, wenn der kalte Wind ums Haus heulte und es im Keller leise rumorte.</span></span></div><div class="MsoNormal" style="line-height: 150%;"><span class="Apple-style-span" style="font-family: Chalkboard;"><span class="Apple-style-span" style="font-size: small;">Anfang März aber brachen die Krokusse durch die Erde, und die Wiese erstrahlte in blau und gelb. Und noch bevor die roten Tulpen folgten, stand Kater Jakob mitten im Schlafzimmer des Riesen, um ihn zu wecken! Mit leuchtend gelben Augen, glänzendem schwarzem </span></span><span class="Apple-style-span" style="font-family: Chalkboard;"><span class="Apple-style-span" style="font-size: small;">Fell, dicht und puschelig, und um die strammen Hinterbeinchen mit </span></span><span class="Apple-style-span" style="font-family: Chalkboard;"><span class="Apple-style-span" style="font-size: small;">samtenen Pluderhosen. So begann das Jahr mit Kater Jakob! Denn Dezember bis März war der Riese katzenlos gewesen und hatte nicht gelebt, nur gewartet.</span></span></div><div class="MsoNormal" style="line-height: 150%;"><span class="Apple-style-span" style="font-family: Chalkboard;"><span class="Apple-style-span" style="font-size: small;">Nun kam frische Luft in alle Räume - der Riese putzte die Fenster und war von früh bis spät glücklich und sehr beschäftigt.</span></span></div><div class="MsoNormal" style="line-height: 150%;"><span class="Apple-style-span" style="font-family: Chalkboard;"><span class="Apple-style-span" style="font-size: small;">Jakob eroberte das ganze Haus, schlief mal hier mal da, lag auf dem Rücken und hatte die kleine, rote Zunge beim Schnarchen raushängen, oder kuschelte sich in den großen Sessel im Arbeitszimmer des Riesen. Der kochte Seelachs mit Reis, warf ihm auch kleine Fleischbällchen zu, und es war eitel Freude und Fettlebe in ihrem Haus.</span></span></div><div class="MsoNormal" style="line-height: 150%;"><span class="Apple-style-span" style="font-family: Chalkboard;"><span class="Apple-style-span" style="font-size: small;">Anfang Mai zog der Sommer ins Land. Früh fiel das Licht durch die Jalousetten, brach sich bunt im geschliffenen Glas der Frisierkommode, und als der Riese sich die Augen rieb, stand Kater Merlin in aller Sommerpracht vor ihm! Sein Fell leuchtete orange-rot in der Sonne, </span></span><span class="Apple-style-span" style="font-family: Chalkboard;"><span class="Apple-style-span" style="font-size: small;">über die Brust zog sich ein weiches, gelbes Flies und um den stolz erhobenen Schwanz waren rote Ringel. Merlins Augen waren bernsteinfarben und seine Schnauze und die Ballen an den Pfoten rosarot.</span></span></div><div class="MsoNormal" style="line-height: 150%;"><span class="Apple-style-span" style="font-family: Chalkboard;"><span class="Apple-style-span" style="font-size: small;">Er ging majestätisch auf den Riesen zu, stieg zu ihm ins Bett und ließ sich in dessen linker Armbeuge nieder. Das war sein angestammter Platz, wo er dem Herzklopfen des Riesen lauschen konnte. Und hier sprachen sie lange, leise miteinander und gestanden sich, wie einsam der Winter gewesen war. "Mein zimtfarbenes Plätzchen, du", "Mein Ingwerstäbchen", "Mein keltischer Prinz" überhäufte der Riese den großen Kater mit Liebkosungen, und Merlin hing an den Lippen seines geliebten Riesen.</span></span></div><div class="MsoNormal" style="line-height: 150%;"><span class="Apple-style-span" style="font-family: Chalkboard;"><span class="Apple-style-span" style="font-size: small;">Der Sommer war warm und hell. Über den Rasen tollten zwei Kater, der eine rot, der andere schwarz. Und da es nachts warm war und der Riese manchmal nicht schlafen wollte, legte er sich in das Gras in seinem Garten, ganz weit in der Ferne die Geräusche der Stadt, über sich die Kronen der alten Bäume. </span></span></div><div class="MsoNormal" style="line-height: 150%;"><span class="Apple-style-span" style="font-family: Chalkboard;"><span class="Apple-style-span" style="font-size: small;">Die Pflaumen wurden reif, und der Riese kochte Marmelade. Die Sonnenblumen wuchsen schier in den Himmel, und am Spalier und an der Hauswand wurden langsam die Weintrauben reif. Die Kater hatten ihre Lieblingsplätze gefunden, hoch auf dem Kleiderschrank und zusammengerollt auf dem Korbstuhl im Badezimmer.</span></span></div><div class="MsoNormal" style="line-height: 150%;"><span class="Apple-style-span" style="font-family: Chalkboard;"><span class="Apple-style-span" style="font-size: small;">Der Weg in den Keller war immer offen. Es gab kleine Schlupflöcher für die Pelzer in jeder Tür. Aber im Sommer zog es sie nie in die Tiefe des Kellers. Wohl aber kam noch ein Pelzer herauf: die Katze! Als letzte stieg sie die Treppe hoch und verlangte Aufnahme unter den Vierbeinern und bei dem Riesen. Sie war die Älteste, die Schönste und die Klügste! Dreifarbig - schwarz, weiß und rot, der dunkle Teil des Felles rauchgrau wie bei einer Karthäuserkatze. Ihre grünen Augen funkelten, und mit kehliger Stimme schrie sie: "Friederike ist da!" und alle kamen, um sie zu empfangen, sie als Dienstälteste zu hofieren, vor die vollen Futternäpfe zu führen, hinter den Ohren zu kitzeln und ein seidenes Kissen aufzuklopfen.</span></span></div><div class="MsoNormal" style="line-height: 150%;"><span class="Apple-style-span" style="font-family: Chalkboard;"><span class="Apple-style-span" style="font-size: small;">Friederike selbst hatte jedoch nur Augen für den Riesen - ihn liebte sie leidenschaftlich und besitzergreifend. Kater Jakob wurde giftig angefaucht und auch Merlin bekam gleich die Pfote zu spüren! Ihre preußische Natur ließ sie neben sich keinen anderen Pelzer dulden, und der Riese spürte das baldige Herannahen des Herbstes schon in seinen Knochen.</span></span></div><div class="MsoNormal" style="line-height: 150%;"><span class="Apple-style-span" style="font-family: Chalkboard;"><span class="Apple-style-span" style="font-size: small;">Vorläufig wurden aber erst einmal die Kastanien reif und knallten laut auf das Dach. Der Wein wurde geerntet und auf langen Schnüren auf dem Dachboden aufgehängt. Die Vögel </span></span><span class="Apple-style-span" style="font-family: Chalkboard;"><span class="Apple-style-span" style="font-size: small;">plünderten in organisierten Beutezügen die restlichen Weintrauben am Haus und die Hagebutten im Vorgarten. Friederike saß dann mit gierigen Augen im Fenster, aber verließ trotzdem nie das Haus.</span></span></div><div class="MsoNormal" style="line-height: 150%;"><span class="Apple-style-span" style="font-family: Chalkboard;"><span class="Apple-style-span" style="font-size: small;">Sie war die Katze des Hauses, hockte auf dem Treppenabsatz vor dem Schlafzimmer und versuchte die Kater daran zu hindern, nach oben zu kommen. Mochten die doch da draußen, wo es windig und feucht war und andere unsagbare Vierbeiner sich herumtrieben, </span></span><span class="Apple-style-span" style="font-family: Chalkboard;"><span class="Apple-style-span" style="font-size: small;">ihr Regime führen, hier im Hause war sie die Königin, wenn auch erst ab dem Monat Juni. Und der Riese kraulte ihr die weiße Brust und ließ sie an seinen Fingern zärtlich knabbern. Gegen Abend fanden sich die Kater ein und erkämpften sich ihre alten Plätze. So gab es Ruhe im Haus, wenn der Riese schlafen ging. Wie eine Herde lagen seine Lieblinge um ihn herum: wohliges Schnurren, glänzendes Fell, lang gestreckte Körper mit leicht angemästeten Bäuchen, eine wohlige Erinnerung an Leberhäppchen, Forellenfilets, Seelachs mit Reis und zarte, frische Mäuse.</span></span></div><div class="MsoNormal" style="line-height: 150%;"><span class="Apple-style-span" style="font-family: Chalkboard;"><span class="Apple-style-span" style="font-size: small;">Doch mit den ersten Schneeflocken, dem ersten Frost, brach diese Herde auf: zuerst Jakob, dann Merlin und zum Schluss Friederike. Hinab in den Keller, ins endlose, graue Vergessen. Würde der Riese nie erfahren, was sie dort trieben? War der Keller ein Gang in eine </span></span><span class="Apple-style-span" style="font-family: Chalkboard;"><span class="Apple-style-span" style="font-size: small;">andere Welt, wo die Katzen schliefen und spielten? Gab es dort einen Winterriesen, der sie schon erwartete? Oder rollten sie sich in einer staubigen Ecke zusammen und verschliefen die kalte Jahreszeit?</span></span></div><div class="MsoNormal" style="line-height: 150%;"><span class="Apple-style-span" style="font-family: Chalkboard;"><span class="Apple-style-span" style="font-size: small;">Mit der Einsamkeit des beginnenden Winters ergab der Riese sich in sein Schicksal und schob täglich etwas Trauer und Sehnsucht die Kellertreppe hinunter.</span></span></div><div class="MsoNormal" style="line-height: 150%;"><span class="Apple-style-span" style="font-family: Chalkboard;"><span class="Apple-style-span" style="font-size: small;">So ging es viele Jahre. Die Katzen kamen und gingen und mit ihnen auch das Leben im Hause des Riesen.</span></span></div><div class="MsoNormal" style="line-height: 150%;"><span class="Apple-style-span" style="font-family: Chalkboard;"><span class="Apple-style-span" style="font-size: small;">Und eines Tages war es wieder so weit, dass der letzte Pelzer in den Keller verschwand. Diesmal sah der Riese Friedericke hinterher, als sie langsam die Kellertreppe hinunter stieg. Es tat ihm weh, sie gehen zu sehen, doch zum ersten Mal drehte er sich nicht weg. Im Dunkel des Kellers leuchteten ihre weißen Flanken auf. Der Riese spürte Sehnsucht nach ihrem weichen Fell, und die Katze hielt inne, drehte sich um und sah ihm tief in die Augen. Und ihm war, als wenn Zeit und Raum versanken; er sah nur das Leuchten ihrer Augen. Drei Farben, dachte er. Jakob ist schwarz, Merlin ist rot und Friedericke ist schwarz-weiß-rot. Das Weiß ihrer Flanken schien aus dem Dunkel des Kellers in sein Herz zu strahlen. Eine weiße Katze fehlte! Weiß, wie eine kleine, heiße Flamme, weiß wie der frische Schnee! Mit einem Schluchzen ließ er seine winterliche Einsamkeit heraus und bat die Katze: "Geh nicht, bleib bei mir, nur diesen einen Winter!" Da schien es ihm, als wenn Friedericke traurig wurde, aber sie schritt langsam weiter die Treppe hinunter. Der Riese folgte ihr Schritt für Schritt. Die Sehnsucht nach Friedericke führte ihn immer weiter ins Dunkel.</span></span></div><div class="MsoNormal" style="line-height: 150%;"><span class="Apple-style-span" style="font-family: Chalkboard;"><span class="Apple-style-span" style="font-size: small;">Bald stand er allein im Keller, stolperte über Kisten und Kasten, fiel in seine eigenen Erinnerungen und Wünsche. In jedem Korb, in jedem Koffer waren nicht nur alte Kleider und Geschirr, sondern auch seine Einsamkeit, seine Angst vor Nähe. Jeder Winter war mindestens eine Kiepe voller Trauer und Angst. Und als er unter Tränen alles beschaute und befühlte und sich schrecklich schmutzig machte, konnten auch all die verbuddelten Wünsche und Erinnerungen hervorgezogen werden.</span></span></div><div class="MsoNormal" style="line-height: 150%;"><span class="Apple-style-span" style="font-family: Chalkboard;"><span class="Apple-style-span" style="font-size: small;">Die Zeit verging, und der Riese kam einem ständigen Rumoren immer näher. Und dann sah er die Katzen: sie räumten und rückten, sortierten und entstaubten. Jakobs lackschwarzes Fell war voller Staub, Merlins roter Pelz voller Flecken, und Friedericke hatte abgebrochene Krallen vom vielen Arbeiten.</span></span></div><div class="MsoNormal" style="line-height: 150%;"><span class="Apple-style-span" style="font-family: Chalkboard;"><span class="Apple-style-span" style="font-size: small;">Die Pelzer räumten Jahr für Jahr den Keller auf! Sie führten kein herrliches zweites Leben mit einem Winterriesen, sie schliefen nicht rund um die Uhr, sondern arbeiteten für ihn, damit der Keller mit seinem Gerümpel nicht das Haus aus den Fugen geraten ließ. </span></span></div><div class="MsoNormal" style="line-height: 150%;"><span class="Apple-style-span" style="font-family: Chalkboard;"><span class="Apple-style-span" style="font-size: small;">Diesen Winter nun packte der Riese mit an. Es gab ein Riesengetöse, dicke Staubwolken, viel Niesen und so manch alte Kröte, die in den Ecken aufgescheucht und von den Katzen verjagt werden musste. Es dauerte Wochen, bis er sich wieder auf den Weg nach oben machte, dünn und ausgehungert! Als er nach oben kam und die Kellertür knarrend ins Schloss fiel umgab ihn eine weiße Stille, denn draußen hatte sich die Welt verändert.</span></span></div><div class="MsoNormal" style="line-height: 150%;"><span class="Apple-style-span" style="font-family: Chalkboard;"><span class="Apple-style-span" style="font-size: small;">Es lag zentimeterdick Schnee ums das Haus herum, auf allen Bäumen, Dächern und Fensterbrettern. Der Schnee erhellte auch innen das Haus. Mit klammen Fingern machte der Riese sich einen Tee und wärmte sein Gesicht an der Tasse. Er stand ganz still und lauschte. Um ihn war nichts als Stille und die Helligkeit des Schnees vom Garten. Und obwohl er ganz allein war fühlte er sich nicht einsam, nur müde und erschöpft nach all dem Lärm und Getöse im Keller. Und er spürte seine schmerzenden Knochen von der Arbeit, aber auch sein leichtes Herz.</span></span></div><div class="MsoNormal" style="line-height: 150%;"><span class="Apple-style-span" style="font-family: Chalkboard;"><span class="Apple-style-span" style="font-size: small;">Dieses Jahr nun war der Winter trocken und kalt, und weil der Riese nicht hatte heizen können, waren alle Fenster mit Eisblumen überzogen und an den Dachrinnen hingen Eiszapfen. Als er das Kaminfeuer in Gang setzte und sich im Sessel ausstreckte, taute ganz langsam das Eis von den Fenstern. Und aus den Rinnsalen heraus hob sich der Umriss einer Katze ab. Eine schneeweiße, große, schöne Katze. Sie hatte die Augen geschlossen, saß ganz still und gerade.</span></span></div><div class="MsoNormal" style="line-height: 150%;"><span class="Apple-style-span" style="font-family: Chalkboard;"><span class="Apple-style-span" style="font-size: small;">Der Riese sprang auf, streckte die Hände nach ihr aus und sagte zum zweiten Mal in diesem Winter die Zauberworte: "Geh nicht weg! Bleib bei mir! Ich brauche dich!" Da öffnete die Katze ihre leuchtenden Augen und kam zum Leben.</span></span></div><div class="MsoNormal" style="line-height: 150%;"><span class="Apple-style-span" style="font-family: Chalkboard;"><span class="Apple-style-span" style="font-size: small;">Als der Riese in diesem Winter in den Garten ging und in den weißen Schnee sah, war immer die weiße Katze bei ihm, die er aber nur sah, wenn sie die Augen öffnete. Sie war nicht nur im Schnee, sondern auch im weißen Raureif, im glitzernden Frost und im dichten, kalten Nebel. Sogar in der langen, weißen Gardine konnte er sie nun sehen.</span></span></div><div class="MsoNormal" style="line-height: 150%;"><span class="Apple-style-span" style="font-family: Chalkboard;"><span class="Apple-style-span" style="font-size: small;">Sie war schon immer dagewesen, nur hatte er sie nicht sehen können, weil sein Herz so schwer gewesen war. Sie hatte all die Jahre gewartet, dass er sie erkennt und ruft, sie weckt und mit ihr den Winter genießt. So erkannte der Riese, dass es im Winter eine stille und weiße Liebe gab, die nach der warmen und lauten Liebe des Sommers kam.</span></span></div><div class="MsoNormal" style="line-height: 150%;"><span class="Apple-style-span" style="font-family: Chalkboard;"><span class="Apple-style-span" style="font-size: small;">Und die weiße Katze wurde zu der kleinen, heißen Flamme in seinem glücklichen Herzen und würde nie wieder weggehen, wenn er sie nur immer erkennen wollte.</span></span></div><div class="MsoNormal" style="line-height: 150%;"><span class="Apple-style-span" style="font-family: Chalkboard;"><span class="Apple-style-span" style="font-size: small;">Das Jahr hatte nun nie wieder eine Lücke. Es war rund, mit zwölf Monaten, vier Jahreszeiten, vier Katzen.</span></span></div><div class="MsoNormal" style="line-height: 150%;"><span style="font-family: Chalkboard; font-size: 14pt;"> <o:p></o:p></span></div><div class="MsoNormal" style="line-height: 150%;"><span style="font-family: Chalkboard; font-size: 14pt;"> <o:p></o:p></span></div><div class="MsoNormal" style="line-height: 150%;"><span style="font-family: Chalkboard; font-size: 14pt;"> <o:p></o:p></span></div><div class="MsoFooter" style="line-height: 150%; tab-stops: 35.4pt;"><span style="font-family: Chalkboard; font-size: 14pt;"> <o:p></o:p></span></div><div class="MsoNormal" style="line-height: 150%;"><span style="font-family: Chalkboard; font-size: 14pt;"> <o:p></o:p></span></div><div class="MsoNormal" style="line-height: 150%;"><span style="font-family: Chalkboard; font-size: 14pt;"> <o:p></o:p></span></div><div class="MsoNormal" style="line-height: 150%;"><span style="font-family: Chalkboard; font-size: 14pt;"> <o:p></o:p></span></div>Eva Tannerhttp://www.blogger.com/profile/12597055182294516245noreply@blogger.com2tag:blogger.com,1999:blog-2558588348444159288.post-41798252299882606662010-08-28T18:10:00.000-07:002010-11-23T02:28:03.065-08:00Die ideale Metapher<div class="MsoNormal">Nachdem ich die Adverbien und die Adjektive ausgemerzt hatte, ging ich auf die Jagd nach den Metaphern. Lange musste ich suchen, da sich mir die Vergleiche, die idiomatischen Redewendungen und zu guter Letzt auch noch die Kollokationen in den Weg stellten. Aber dann bog ich um eine Straßenecke und stolperte fast über das Objekt meiner Begierde: eine aufgeblähte Metapher, grün und glibberig, die gerade dabei war in den Gully zu versickern! Meine Augen folgten ihr, und ich blieb einsam und mit leeren Augenhöhlen zurück.</div><div class="MsoNormal">Ich lehnte an der dunklen Straßenecke und leckte meine Wunden. Die Metapher war im Gully versickert! Ohne sie würde ich mich an meinen eigenen Ansprüchen aufhängen müssen. Aber plötzlich wurde das Geschlabber meiner Wundenleckerei durch ein viel heftigeres Geräusch übertönt! Keuchend und hechelnd näherte sich mir der Ehrgeiz, mit tausend schillernden Metaphern im Nacken. Ja, hollodriaho, das würde ein Festtagsschmaus werden.</div><div class="MsoNormal">Der Ehrgeiz warf mir mit einem „Hepp!“ meine Augen zu - er hatte sie aus dem Gully gefischt! Dann breitete er seine Gaben vor mir aus. Da erkannte ich, dass er nur leere Hüllen von Metaphern präsentierte. Hundertmal berührt und nichts ist passiert, dachte ich und erinnerte mich an Wiki, meine abgenutzte Begleiterin. Wer würde mir bei meiner Jagd nach einer wohlgeformten Metapher behilflich sein? Ich sah mich um, und aus dem Schatten der Nacht trat, fein und edel, die Ironie auf mich zu. Ihr wollte ich mich hingeben – erregend und erleuchtend sie empfangen! Es mit ihr treiben, bis die Balken sich bogen.</div><div class="MsoNormal"><span class="Apple-style-span" style="font-family: 'Times New Roman';">Der Ehrgeiz wurde in seine Schranken gewiesen und musste sich grollend trollen. Die Ironie und ich hatten nun freie Bahn! Wir fielen übereinander her und genossen Spitzfindigkeiten, Andeutungen und bildhafte Eruptionen bis der Tag anbrach und die Ironie sich aus dem Staube machte. Ich wischte mir die Erinnerung dieser Nacht vom Munde und wartete neun Monate. Da gebar ich die rosigste und prallste Metapher meines Lebens! Und damit ihr kein Schulmeister, kein Erbsenzähler, kein Kitschkamel etwas antun konnte, versteckte ich sie in einem Literaturforum! Weder der Ehrgeiz, noch der Gehorsam durften sie betrachten, nur die Ironie kam gelegentlich vorbei und frönte den Freuden der Vaterschaft. </span></div>Eva Tannerhttp://www.blogger.com/profile/12597055182294516245noreply@blogger.com0tag:blogger.com,1999:blog-2558588348444159288.post-70855730540900421212010-08-28T17:25:00.000-07:002010-08-28T17:31:04.112-07:00KettenreaktionEs war Krieg. Die Menschen hungerten. Großmutter ließ sich mit dem Gutsverwalter ein und bekam dafür Kartoffeln und Gemüse. Neun Monate später wurde eine Tochter geboren, und Großmutter starb bei der Geburt. Großvater gab die Tochter ins Heim. Sie wuchs mit Schläge und Beten auf. Die Tochter wurde Mutter und gebar ein Mädchen. Das Mädchen erhielt keine Liebe und hungerte, denn es war wieder Krieg. Das Mädchen wollte nie ein Kind bekommen, aber es wurde schwanger und gebar ein Mädchen. Das Mädchen ließ das Mädchen verhungern, obwohl es diesmal nicht Krieg war.Eva Tannerhttp://www.blogger.com/profile/12597055182294516245noreply@blogger.com0tag:blogger.com,1999:blog-2558588348444159288.post-1638961793444788162010-08-28T07:08:00.000-07:002010-08-28T14:49:20.218-07:00Der PfirsichbaumIch war immer ein Pfirsich, mit weicher, samtiger Haut, frischem Fruchtfleisch und darunter meinem Kern.<br /><br />Ich wurde gekostet und gegessen. Nur in meinem Kern blieb ich bei mir und überlebte.<br /><br />Nun, nach einem halben Jahrhundert, ist aus dem Kern ein kleiner Trieb gewachsen. Hat sich durch die Nahtstelle geschoben, schickt seine Wurzeln ins Erdreich und wächst heran zu einem Pfirsichbaum.<br /><br />Das Fruchtfleisch gibt es schon lange nicht mehr, aber der Baum bietet ein ganzes, neues Leben.<br /><br />Ich bin kein Pfirsich mehr, sondern ein Pfirsichbaum. Ich bin etwas Eigenes geworden. Ich bin nicht mehr Opfer.Eva Tannerhttp://www.blogger.com/profile/12597055182294516245noreply@blogger.com0