Samstag, 28. August 2010

Der Taubenschlag

TAUBENSCHLAG

Die Tauben fliegen einen spiralförmigen Kreis über das Haus. Ich höre ihren Flügelschlag und spüre die Energie, die sie mir senden.

Ich knie vor dem Mann, der auf dem Sofa sitzt und seine Augen geschlossen hält. Meine Hände gleiten über seinen Körper, ohne ihn zu berühren. Fühle die Hitze, die Kälte, das Nachlassen der Energie dieses Menschen. Meine Hände ziehen seine Krankheiten aus seinem Körper. Es ist stickig und heiß im Zimmer, und schon während der Mann sich erhebt, nach seiner Brieftasche greift und mich anspricht, mache ich das Fenster weit auf und atme die frische Luft tief ein.
„Nein, keinen Namen, bitte! Auch mein Name spielt keine Rolle! Geld? Auch das nicht!“
Er legt mir einen kleinen Umschlag auf den Schreibtisch, gleich neben die Kerzen und die Heiligenbilder.
„Dzienkuje, pan!“
Wir nicken uns zu, und ich habe ein paar Minuten für mich allein. Ich lege den Umschlag mit den Sloty in eine Schublade und rücke das Schild auf dem Schreibtisch gerade – es erklärt, dass ich kein Geld nehmen darf und dass das Finanzamt nun Quittungen für Einkünfte verlangt und dass die Regierung in Warschau Heilertätigkeiten untersagt.

Was kann ich den Menschen sagen, die zu mir kommen? Sie wollen doch auch ihre Dankbarkeit zeigen, wenn ich ihnen helfe. Warum verstehen die Behörden das nicht? Ich kann ihnen nur sagen, dass sie etwas spenden können, wenn sie wollen – wie viel überlasse ich ihnen. Vor dem Haus stehen ein halbes Dutzend Autos, sie kommen auch von weit her seitdem wir zur EU gehören. Ich kenne viele der Wartenden, zum Beispiel diese Eltern mit ihrem Sohn, der sich nur an Krücken vorwärts bewegen kann und diese junge Frau da, auf der Bank vor dem Haus. Sie möchte schwanger werden und kann nicht empfangen. Sie alle rufen einen Tag vorher an, und meine Mutter vereinbart Termine mit ihnen.
„Ja, kommen Sie zwischen 9.00 und 11.00 Uhr.“
11.00 Uhr ist mein spätester Termin, danach bin ich erschöpft und brauche meine Ruhe. Mutter, Tante Ewunia und ich essen gemeinsam zu Mittag – hinter dem Haus, auf dem Hof. Da sehen uns nur die Tiere - meine Tauben und die Hunde. Nun, wo Sie wissen, wie meine Tante heißt, sage ich Ihnen auch meinen Namen: Jannek Koslowski. Wir wohnen in Nowe Miasteczko, einem kleinen Dorf nahe Gubin in der Woiwodschaft Dolnoslaskie. Ganz in der Nähe ist auch der Grenzübergang nach Guben in Deutschland.

Unser Dorf ist arm; es gibt kaum Arbeit, auch keine richtigen Geschäfte. Nur Kasimirs rollenden Wurst- und Fleischwagen zweimal die Woche. Ohne Auto geht hier gar nichts! Ja, ich habe jetzt ein Auto und parke das immer auf dem Hof, hinter dem hohen Tor. Ich bin auch schon drüben gewesen, mehrfach, weil ich öfter meine Cousine in Frankfurt vom Zug abhole. Sie ist während der Woche zum Putzen in Berlin und kommt erst am Wochenende nach hause.
Und ich war auch in der Nacht zum 1. Mai 2004 auf der Brücke über die Oder in Frankfurt, das heißt natürlich zuerst in Slubice, auf unserer Seite. Wir waren alle da, als das Feuerwerk losging. Soviel Geld wurde da in den Himmel geschossen! Aber es war schön, und die Stadt Frankfurt hat mir sehr gefallen. Ein Jahr danach bin ich dann auch nach Berlin gefahren und habe meine Cousine besucht. Berlin war unglaublich, ich wusste nicht, wohin ich zuerst gucken sollte! Aber wer will eigentlich hunderte von Wurstsorten, hunderte von Hemden und Hosen zum Aussuchen? Ich habe die Rückfahrt nach Nowe Miasteczko genossen. Vorbei an den Sonnenblumenfeldern und den Wäldern um unser Dorf. Es gibt noch Wölfe und Luchse in der Gegend, und ich liebe die Landschaft. Aber ich weiß nun auch, dass unser Dorf schäbig aussieht. Niemand hat Geld für die Fassade oder für neue Fenster. Nur bei mir tut sich was; ich hab das Dach neu gedeckt und eine Ölheizung eingebaut. Die Nachbarn werfen mir scheele Blicke zu, obwohl ich doch allen helfe, wenn sie Probleme haben. Auch meinen Nachbarn, nicht nur den Menschen, die von weither kommen.

Es kamen auch Deutsche zu mir ins Haus. Nein, nicht die Deutschen, die schon seit vielen Jahren hier leben. Ich meine die richtigen Deutschen, die, die kein Polnisch sprechen. Manche bemühen sich aber und sagen freundlich „Dziendobry“ wenn sie kommen. Und ich habe ein paar Wörter Deutsch gelernt: „Schmerz muss weg!“ oder „Schlafen, muss mehr schlafen!“ Da weiß ich dann, dass sie schon auf der Heimfahrt einschlafen und jemand anderes fahren muss – meine Energie wirkt schnell!

Abends bin ich allein in meinem Haus. Mutter und Ewunia wohnen nebenan, sie kommen nur tagsüber, um mir den Haushalt abzunehmen. Ich schlafe oben, unter dem Dach, am Fenster im Giebel, nahe am Taubenschlag. Die Tauben ziehen ihre Kreise, ihr Flügelschlag kühlt mein Gesicht. Ich liege ganz still und bete, bis ich mich ruhig und gestärkt fühle.

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